Kunst und Handwerk

Darf ihr Fähnlein in den Wind hängen: die Skulptur auf dem Herzbergkreisel in Büdingen

Das Unternehmen Pera Repa ist nicht leicht zu finden. Oder besser: Ich finde es nicht. Zweimal bin ich schon die Straße von Anfang bis zum Ende im Schritttempo entlanggefahren. Ganz offensichtlich an der Einfahrt vorbei. Aber beim dritten Mal klappt es. Dabei ist der Holz- und Metall verarbeitende Betrieb gut ausgeschildert.

Kreide sticht Papier

Im asphaltierten Hof, unter der sengenden Augustsonne, zeichnet Axel Gallun Silhouetten mit Kreide auf eine etwa anderthalb Zentimeter dicke wetterfeste Baustahlplatte. Sein Kumpel Matthias steht daneben und wartet. Gleich wird er die Umrisse mit dem Brennschneider ausschneiden. „Man kann diese Arbeit heutzutage auch mit dem Laser machen“, erklärt Axel Gallun. „Aber die Schnitte sehen dann sehr glatt und kalt aus. Es entstehen – anders als bei Handarbeit – nicht diese typischen leicht unregelmäßigen Kanten.“ Einen weiteren Grund, warum er auf das Laserschneiden verzichtet, nennt er auch gleich: „Das ist sehr teuer.“

Brennschneiden

Der Büdinger Künstler und Bildhauer fertigt gemeinsam mit seinem Kumpel Matthias eine Skulptur, die auf dem neu gestalteten Herzbergkreisel stehen wird. Das mehr als drei Meter hohe Objekt aus Cortenstahl greift Sehenswürdigkeiten wie das Steinerne Haus, das Schloss, das alte Rathaus, die Marienkirche, Altstadthäuser und Festung auf. Die Gebäude werden von Axel Gallun jedoch nicht einfach naturalistisch abgebildet, sondern zitiert, verfremdet und neu kombiniert.

Brennen und schneiden

Eben beugt sich Matthias mit seiner Schweißmaske vor dem Gesicht über eine aufgebockte Platte und brennt ebenso konzentriert wie akribisch den Stahl. Axel Gallun stützt sie mit beiden Händen und mit dem Gewicht seines Oberkörpers ab, damit sie nicht verrutscht. Er blickt zur Seite, solange das zischende Geräusch des Brennschneiders zu hören ist. „Nicht in die Schweißflamme blicken“, hatte er mich noch gewarnt. Die hohe Lichtintensität und die Strahlung kann nicht nur die Hornhaut schädigen, sondern auch äußerst unangenehme Entzündungen auslösen. Ich blicke mich also stattdessen mit der Kamera in der Hand im Hof um.

Einzelteile

Arbeit unter erschwerten Bedingungen ist das heute: 35 Grad im Schatten, informiert meine Wetter-App. Ach was, 38, meint die Temperaturanzeige in meinem Auto. Wie heiß mag es dann erst hier auf dem gepflasterten Hof sein, von dem die Hitze zusätzlich abstrahlt. Schweiß rinnt.

Ein paar Tage später in einer Maschinenhalle in Glauberg am Ufer der Nidder. Umgeben von hölzernen Wagenrädern, aufgestapelten Steinen, Holzbohlen, einer alten Riemennähmaschine und nicht zuletzt einem zitronengelben Citroën 2CV arbeiten die beiden Männer. Die Nidder plätschert. Sie trotz der Hitze, obwohl es schon seit März nicht mehr geregnet hat. Schwatzt, erzählt, quasselt und plappert. Die Männer nebenan haben große Wasserflaschen dabei. Mindestens drei Liter Wasser trinken sie jeden Tag, um ihren Flüssigkeitsverlust auszugleichen.

Zuschneiden

Hier in der grob gemauerten Maschinenhalle hat Axel Gallun Tage zuvor meterlange Schablonen angefertigt. Zuerst von der Marienkirche, dann vom Steinernen Haus und schließlich vom alten Rathaus. Maßarbeit mit Overheadprojektor, Stift und Papier, Feinarbeit mit Zirkel und Lineal. Axel Gallun werkt mit großer Präzision. Später, beim Aufbau sollen schließlich alle Teile perfekt passen. „Du wärst auch ein guter Zahnarzt geworden“, witzele ich. „Lukrativer wäre das allemal gewesen“, entgegnet Axel Gallun trocken.

Maßarbeit – Feinarbeit

Geräte und Werkzeug wie in einer Metallwerkstatt. Gasflasche, Brenner, Schweißgerät. Hammer, Zange, Schraubzwingen. Den Geruch kenne ich aus der Schmiedewerkstatt meines Vaters. Nur werden hier keine Treppengeländer gefertigt, keine Pferdehuf neu beschlagen. Hier entsteht Kunst durch Handwerk.  „Kannst du eine Skulptur für den Herzbergkreisel für uns machen“, hatte das Bürgerforum Steinernes Haus vor mehr als einem Jahr gefragt. „Ja“, Axel Gallun geantwortet. Axel denkt sich einen Entwurf aus. Zeichnet, baut ein Modell. „Toll“, sagt der Verein, „das gefällt uns.“ Klärt das Notwendige mit der Verwaltung, den Behörden, der Politik auch. Idee wird zu Schablone, Schablone zu einem Teil der Skulptur. Stahl wird geschnitten, Ränder entgratet.

Kanten vor dem Entgraten

„Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich mit  einen Betrieb mit den Schweißarbeiten, dem Bauen der Skulptur beauftragen. Einen Entwurf machen und die Ausführung anderen überlassen. Es gibt Künstler, die arbeiten so. Aber ich kann es mir nicht leisten.“ Also baut Axel Gallun mit der Hilfe seines Kumpels selbst. Entgratet die Ränder selbst. Fleißarbeit das. „Da brauchst du nicht dabei sein. Das ist langweilig“, sagt Axel Gallun am Telefon. „Ich melde mich, sobald ich damit fertig bin.“

Probestellen

Mit Spannung erwartet der nächste Anruf: Matthias und Axel Gallun stellten die Teile der Skulptur zur Probe in der Maschinenhalle  auf eine Metallplatte. An einigen wenigen Stellen wird punktgeschweißt. „Passt. Ich bin zufrieden“, sagte Axel Gallun, lehnt an wie ein Großwildjäger am Altstadthaus und der wortkarge Matthias nickt. So schön, den beiden bei der Arbeit zuzusehen, Arbeit und Axels Hände zu fotografieren. Der Metallwerker und der Bildhauer kennen keine Scheu vor dem Stahl. Wo andere aus Angst, einen irreparablen Fehler zu machen, zögern, packen die beiden an. Gehen mit dem Werkzeug um, wie ich mit meinen Gedanken an der Computertastatur. Keine Angst vor dem Schreiben.

…schleppen die Männer

Endlich nach zweieinhalb oder dreieinhalb Wochen – wer will das schon genau wissen –: Heute muß die Plastik werden. Frisch Gesellen, seid zur Hand. Von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß, soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt von oben. Zum Werke, das wir ernst bereiten, geziemt sich wohl ein ernstes Wort. Wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort.

Aufbau

Die beiden Männer schleppen die Einzelteile nach draußen vor die Halle. Schleppen, hieven, halten, schweißen, schwitzen. Mehr als ein erwachsener Mensch wiegt eines der Teile. Hand in Hand arbeiten die Männer. Gesprochen wird nicht viel. Während Axel Gallun mit der Wasserwaage in der Hand die Teile auf dem Metallrahmen ausrichtet, schweißt sein Kumpel sie an. „Keine Probleme. Nirgendwo klemmt’s“, kommentiert Matthias zufrieden später zufrieden, reicht mir zum Abschied die Hand und muss schon wieder fort zu einem anderen Termin.

Aufbringen von Blattgold

Der Rest? Ein Kurzdurchlauf: Der Bildhauer behandelt das Objekt mit Schnellroster – für die typische Cortenstahl-Rostoptik. Er bringt mit leichter Hand flüchtiges Blattgold in ihrem Inneren auf. Kleine Details, die man hervorblitzen, wenn man durch den Kreisel fährt. Blattgold: typisch für Axel Galluns Arbeiten. Für die größeren Fenster und Tore baut er Gitter, Läden und ein Tor, bringt sie an: „Damit niemand hineinklettern kann“, sagt er. Heißsporne und Mutproben gibt es auch bei uns.

Aufbau am Herzbergkreisel

Jetzt ist sie an ihrem Platz. Transportiert, aufgebaut, eingeweiht. Alles innerhalb weniger Tage. Ein bisschen zu klein für den großen Kreisel ist sie. Ein bisschen zu tief steht sie auch. Hoffen wir, dass sich der Verein dazu entschließt, für die Skulptur noch ein Podest zu finanzieren. Denn dann wäre alles perfekt.

Aufgebaut und eingeweiht