Ein ganzer Haufen zauberhafter Menschen. Schicke Kleidung ist nicht ihr Ding. Frisör auch nicht. Ruhig und freundlich. Aufmerksam. Achtsam. Also genau meine Kragenweite. Aktivisti sind sie auch. Schreibe ich so, weil sie nicht so auf die Sprache stehen, wie sie ist, sondern Sprache haben wollen, wie sie sie sich vorstellen.
„Mein Name ist Ahorn. Mein Pronomen ist es“, hat sich einer von ihnen vorgestellt, als ich sagte: „Hi, ich bin Grobi und wer bist du?“ Es ist die gleiche Person, mit der Schätzman, mein geliebter Mann, am nächsten Morgen einen ungewöhnlichen Dialog führte. Schätzman ist immer als erster von uns allen auf. Er geht extrem früh ins Bett und steht – entsprechend – wirklich wirklich früh auf. Hatte sich schon einen Kaffee gemacht und saß mit seiner Lieblingstasse in der Hand (Tampa Art Museum) und einem Surface auf dem Schoss entspannt im Wohnzimmer. Schätzman: „Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“ Ahorn sieht Schätzman irritiert an, schweigt, schweigt und schweigt. Dann sagt es: „Ich kann mit der Frage nichts anfangen.“
Vegan leben alle, die bei uns für eine Woche zu Besuch sind, in den beiden Zimmern meiner Tochter schlafen – und im Wohnzimmer. Die das Wohnzimmer als das entdecken, was es sein sollte: ein Gemeinschaftsraum, in dem alle zusammen Zeit verbringen. Sie singen zum Gitarrenspiel von Winter oder spielen gemeinsam ein Gesellschaftsspiel, das Larve in ihrer nüchternen Art erklärt. Ich stehe im Türrahmen und schaue dem Treiben einen Moment zu. Dann frage ich: „Kann ich ein Foto von euch machen? Also nicht für mich, für euch. Ihr habt doch eine Messenger-Guppe. Ich würde es Latvijas schicken und sie kann es teilen.“ Alle sind einverstanden. Ein Mensch, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe und der auf der Couch loungt, sagt ernst: „Ich möchte nicht fotografiert werden.“ Ich schaue seine Begleitung an, die neben ihm sitzt und die Beine um Naomi oder Norma oder wie auch immer es heißt, kuschelt: „Dann bist du auch nicht drauf.“ Die Begleitung nickt.
Sie verwüsten die Küche. Und sie kochen viel: Frühstück, Mittagessen, Abendessen – immer für etwa 12 oder 13 Personen. Einige von ihnen kochen, gegessen wird gemeinsam auf dem Boden im Wohnzimmer. Die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld. Aber sie räumen sie auf, jemand spült, die anderen trocknen ab. Ihre eigenen Lebensmittel haben sie auch mitgebracht – containert vielleicht. Eines Morgens liegt ein Zettel im Küchenchaos: Wir machen noch sauber, aber die Spülmaschine war voll, steht darauf. Das Problem kenne ich, kritzele ich darunter. Mit einem Smiley.
Die Fremden machen mir Freude. Dabei hatte ich solch einen Schiss vor diesem Besuch. Elf, zwölf, vierzehn fremde Menschen für eine Woche bei uns zu Gast, Aktivisti, die sich von gemeinsamen Klimaaktionen kennen, die Monate gemeinsam in einer Kommune verbracht haben, von denen ich nicht weiß, wie sie ticken, was sie denken, wie es ihnen geht, wenn sie in dieses bürgerliche Idyll kommen, das Zufriedenheit ausdünstet.
Nachts, als ich müde im Bett liege und schlafen möchte, ertönt rhythmisch eine Trommel aus dem Wohnzimmer. Das Trommelgeräusch schwillt an, dann wird es wieder leiser. So geht das eine ganze Weile. Mein Vergangenheits-Ich wäre wütend nach unten getrampelt und hätte sich Ruhe ausgebeten. Mein Gegenwarts-Ich entspannt sich, grinst in sich hinein und schläft nach einer kleinen Weile tief und fest.
Es ist gemütlich im Haus mit den Menschen, auch wenn sie ungewollt meine Kreise stören. Ich werde sie vermissen, wenn die letzten am Samstag abgereist sind. Die Lebensmittel in einen alten Pilotenkoffer meines geliebten Mannes gepackt rollern sie die Straße hinunter. Was ein Bild. Der hochaufgeschossene Winter mit bunter, weiter Hose, noch bunterem Oberteil und noch noch bunterer Weste über allem. Dazu langes, etwas wirres Haar und ein Rucksack auf dem Rücken. Ein moderner Hippie. Ein Lebenskünstler. Larve daneben mit großem Rucksack und Schlafsack. Man darf nicht zu bequem werden, hat eine Bekannte einmal gesagt. Diesen Satz vergesse ich nicht, auch wenn ich sie gern vergessen möchte. Deshalb waren die Menschen nach einigen Diskussionen bei uns willkommen. Deshalb ist es okay, wenn 1nitetenter bei uns im Garten übernachten und mein geliebter Mann sie am nächsten Morgen mit Kaffee bewirtet und lange Gespräche mit ihnen führt (während ich nach einem intensiven Gartenfest alles allein aufräume). Man darf nicht zu bequem werden.
Viele von den Gästen wollen nicht einem Geschlecht zugeordnet werden. Sie wollen „they“ und „them“ sein oder ein anderes nicht-binäres Pronomen verwendet wissen. Sie wollen nicht in ein binäres Geschlechtssystem gezwungen werden, das sich in der Sprache abbildet. Sprache ist Bewusstsein 4.0 also. Oder so… Ich erinnere mich mit einem Mal an die Franziska Becker-Comics, an die Frauenliteratur der 1980er, an Betty Friedan und Carson McCullers. An die Diskussionen und meine gesellschaftlichen Erwartungen. An das vermeintlich sichere Wissen, dass bei mir alles im Leben anders sein würde, als bei unseren Müttern, weil ich ja den entsprechenden Bewusstseinsstand hatte, damals im Studentinnenwohnheim. Und es fällt mir der Satz meiner Schwester ein, den sie sagte, als ich ihr von unseren Gästen berichtete: „Wird die Gesellschaft sie verändern oder werden sie die Gesellschaft verändern?“ Wohl ein bisschen so, ein bisschen so. Am eigenen Beispiel betrachtet, hat mich die Gesellschaft verändert, mir das Leben viel geschenkt, aber mich auch ernüchtert. Aber ein bisschen verändert habe ich auch.
*Das Wort Steineschmeißer hat der ehemals beste Freund meines geliebten Mannes in den 1980er Jahren geprägt. So nannte er die Menschen, die – wie seine damalige Freundin – gegen die Startbahn West, die Stationierung von Pershing 2-Raketen oder Atomkraft demonstrierten. Ich verwende das Wort im positiven Sinn – für Menschen, die sich engagieren.