Rettet die Mundart

Olaf Kromm, Mundartist

Olaf Kromm wohnt tief im Vogelsberg, wohl 60 Kilometer von den Mainmetropolen entfernt. In Gelnhaar, um genau zu sein, einem Ort mit etwa 1050 Einwohnern. Der 55-Jährige ist in seinem Dorf tief verwurzelt, engagiert sich seit langen Jahren in der Kommunalpolitik und ist seit 1997 Ortsvorsteher. Bereits in seiner Schulzeit interessierte sich Olaf Kromm für oberhessische Mundart, kaufte sich Bücher, die sich mit dem Dialekt seiner Heimat befassten. Heutzutage beteiligt er sich erfolgreich an Mundartwettbewerben, hat über das Oberhessische veröffentlicht und pflegt den Dialekt seiner Heimat durch täglichen Gebrauch. „Schwätzt Platt met de Kean, met de Nochbern, mem Lanroat, mem Parr un aach met de Zougeraaste. Schwätzt Platt – mier soi Owerhesse“, sagt er zum Beispiel.

Seit einiger Zeit veröffentlicht Kromm über einen Messengerdienst kurze Videoclips, die er mit oberhessischer Mundart synchronisiert. Die Offenbach Post hat mit dem Mann aus Gelnhaar über RMV-Hessisch, Sahnebonbons und die neuen Medien gesprochen.

Herr Kromm, warum interessieren Sie sich für Mundart?

Seit meiner Kindheit spreche ich Mundart. Bis heute ist sie für mich eine Selbstverständlichkeit. Meine Oma wurde 1901 geboren und hat mit ihren Enkeln Mundart gesprochen. Meine Eltern dagegen haben sich angestrengt, mit uns Hessisch zu sprechen und waren der Meinung, was sie uns da beibringen, ist Hochdeutsch. Irgendwann habe ich den Unterschied zwischen Oberhessisch, Hessisch und Hochdeutsch erkannt und bewusst unterschieden. Noch als ich auf die Realschule ging, habe ich mir ein Buch mit dem Titel „Handkäs mit Musik“ gekauft, das sich mit Mundart befasst, und im Unterricht mit einem meiner damaligen Lehrer darüber diskutiert, dass bestimmte Begriffe kein Hochdeutsch sind, sondern Mundart.

Im Schulunterricht war Dialektsprechen verpönt.

Ja, in der Schule wurde damals noch versucht, uns das Oberhessische abzutrainieren. Selbst mein Lehrer, der selbst aus einem Dorf in der Nähe von Gelnhaar kam und ausgezeichnet Mundart sprach, hat es versucht.

Das Abtrainieren ist bei Ihnen nicht gelungen.

Ich fand Platt schon immer interessant, weil man manchmal Sachen kurz und prägnant formulieren kann, wenn man im Hochdeutschen eine umfangreiche Erläuterung braucht. Mundart ist nicht nur lustig, sie kann traurig sein oder böse. Sie ist wie das Leben. Für Mundartsprecher jenseits der 30 ist sie Tagesgeschäft. Die jüngeren sprechen kein Platt mehr.

Was lässt sich auf Platt prägnanter formulieren als auf Hochdeutsch? Können Sie ein Beispiel geben?

Ein Lehrer meines Sohnes hat mir einmal sehr umständlich erklärt, um was es in „Gregs Tagebuch“ geht. Er brauchte etliche Sätze, um es auf den Punkt zu bringen. Meine Antwort war: „Ach so, deas eas en Dabbes!“

Mundart verschwindet aus den Dörfern.

Ja, sie gerät in Vergessenheit. Früher gab es hier in der Region von Dorf zu Dorf Sprachnuancen, aber irgendwann werden wir bei uns nur noch Frankfurterisch sprechen, RMV-Hessisch nenne ich das. Die eigene Identität der Dörfer verschwindet. Je näher man nach Frankfurt kommt, desto schneller verschwindet sie. Seit zwei Jahren moderiere ich in Florstadt das Mundartfrühstück, da müssen selbst die Älteren überlegen, was dieses oder jenes Wort „auf Fleschterich“, also in Florstädter Mundart, heißt.

Sie bemühen sich, das Oberhessische zu erhalten und das Interesse daran wachzuhalten. Wie gelingt Ihnen das?

In meiner unmittelbaren Umgebung spreche ich nur Platt. Mit meinem Sohn habe ich seit seiner Geburt nur Oberhessisch gesprochen; als er ganz klein war, sogar ein bebildertes oberhessisches ABC für ihn gekauft. Darin stimmte sogar alles, bis auf das „U“, das mit dem Bild einer „Uhr“ bebildert war. Ich habe einfach die Uhr mit einem Ohr überklebt und schon war alles in dem Buch korrekt. Außerdem versuche ich, die Eltern und Großeltern hier in Gelnhaar davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, mit ihren Kindern und Enkeln Mundart zu sprechen und tue es selbst. Manchmal sagt dann jemand zu mir „Ej, deas verstieh däi doch goar näit.“ Aber das ist mir egal. So haben sie es wenigstens im Ohr. Ich halte alle Reden und Ansprachen in meiner Funktion als Ortsvorsteher – bis auf die am Volkstrauertag – auf Oberhessisch. Die Ortsbeiratssitzungen leite ich auf Platt. Damit wird dokumentiert, dass es hier bei uns selbstverständlich beheimatet ist. Es ist ein Teil unserer Identität. In einem Beitrag in einem Buch habe ich erst kürzlich geschrieben: „Soll unser Sprooch erhalte wearn, schwätzt Platt mit allen Kearn.“ Ein bisschen komme ich mir aber schon vor wie Don Quijote de la Mancha, der gegen Windmühlen kämpft.

Sie arbeiten als Prokurist in der Leitung der Wetterauer Kliniken. Wie halten Sie es im Beruf mit Mundart, Hessisch und Oberhessisch?

Ich passe mich meinem Gegenüber an. Es kann sein, dass ich in einem Gespräch mit jemandem Hochdeutsch verwende und dann ruft Herbert Unger, der Bürgermeister von Florstadt, an und ich sage zu meinem Gegenüber in gestochenem Hochdeutsch: „Einen Moment bitte“ und ins Telefon: „Ej, Herbert, schiie, deas de ohroifst!“ Im Gederner Krankenhaus spreche ich zum Beispiel alle drei Varianten. Wenn ich mit einem Mundartsprecher Hochdeutsch spreche, wirkt das überheblich. Wenn ich mit jemandem, der nur Hochdeutsch spricht, Mundart spreche, versteht er mich nicht.

Sie haben ein neues Projekt, mit dem Sie auf ganz ungewöhnliche Weise junge Leute für Mundart begeistern wollen.

Zu Veranstaltungen, in denen es um Mundart geht, kommen zumeist ältere Menschen. Sie sind es auch, die den Dialekt pflegen, indem sie ihn sprechen. Aber man erreicht die Jungen auf diese Weise nicht. Junge Leute direkt auf Platt anzusprechen ist schwierig. Sie reagieren oft eingeschüchtert. Also habe ich mir überlegt, dass sie ja mit Smartphone und Apps täglich umgehen und ich sie auf diesem Weg erreichen kann. Ich habe anfangen, Mundartclips zu produzieren.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ich habe vor einigen Monaten begonnen, in einer Whatsapp-Gruppe, der jedermann beitreten kann, falls er oder sie Interesse hat, Mundartclips einzustellen. Sie sind etwa 15 Sekunden lang. Die App „MadLipz“ ermöglicht, diese kurzen, bereits bestehenden Clips mit eigenem Text zu synchronisieren. Im Skiurlaub habe ich einen ersten Clip für Werthers Echte – also Sahnebonbons – mit einem eigenen Mundarttext synchronisiert So will ich auf lustige Weise Mundart im Bewusstsein der Jungen festigen. Irgendwann, wenn die Älteren nicht mehr da sind, die unsere Mundart beherrschen, fehlt ja eine ganze Sprache unwiederbringlich. Mit solchen Clips kann sie vielleicht reaktiviert werden. Etwa einmal in der Woche veröffentliche ich einen Clip. Das ist auch vom Zeitaufwand gut durchzuhalten.

Wie viele Mitglieder hat die Gruppe?

Bisher 63. Sie wohnen in der Region, bis hinauf nach Kirtorf oder Gießen. Es haben sich inzwischen aber auch Interessierte aus Offenbach und dem Westerwald bei mir gemeldet. Die Clips dürfen übrigens gern geteilt und weiterverbreitet werden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet Mundartclips und nicht – wie viele andere – Youtube-Videos zu machen?

Bevor ich losgelegt habe, haben mir Freunde einige Clips weitergeschickt, die waren recht lieblos und ganz auf die Schnelle gemacht. Einer war auf Frankfurter Hessisch, ein anderer von jemandem aus Wetzlar, mit dem typisch gerollten Westerwälder „R“. Da habe ich gedacht: ‚Das kann ich auch.‘ Ich habe eine geübte Sprecherstimme, kann verschiedene Färbungen nachmachen, singe seit der Schulzeit. Samstagabends nehme ich mir also einige Stunden Zeit und lasse mich selbst überraschen, welcher Clip entsteht. Manchmal lache ich mich selbst kaputt, wenn ich es mir am Ende anschaue.

Info

Wer Interesse an einem wöchentlichen Mundartclip hat, kann sich per Smartphone anmelden. Voraussetzung dafür ist die Nutzung des Messengerdienstes Whatsapp. Zur Anmeldung sind folgende Schritte erforderlich: 1. Die Mobilfunknummer 0151-1759 2669 als Kontakt im Smartphone abspeichern als „Mundartclips aus Oberhessen“. 2. Per Whatsapp die eigenen Kontaktdaten und eine kurze Nachricht an diese Nummer senden. Damit erfolgt die Aufnahme in den Verteiler.

Olaf Kromm sendet den Mitgliedern dieses Verteilers etwa einmal pro Woche einen Mundartclip. Wer die Clips nicht mehr haben möchte, entfernt einfach die genannte Mobilfunknummer aus den Kontakten.