Der Wind trägt sie fort

Foto: Anke Rau

Das Wetter zeigt sich an diesem Morgen von seiner schönsten Seite. Sonnenschein, blauer Himmel, gute Fernsicht. Perfekte Bedingungen für eine Fahrt im Heißluftballon. Per Textmessenger am Abend zuvor die Nachricht: „Für morgen Früh passt alles. Treffen uns um 5.30 Uhr auf dem Supermarktparkplatz.“ Als die beiden Offenbacher Ballongäste Mirko und Anke dort ankommen, warten bereits Pilot Jens, die Bodencrew Torsten, Thorsten und Christian sowie ein weiterer Gast, Matthias. Anke und Mirko freuen sich schon darauf, mit dem Ballon in die Luft zu steigen. „Wir sind viel unterwegs, Mirko arbeitet als Lokführer im Schichtdienst“, sagt Anke. „Deshalb war es nicht einfach, einen gemeinsamen Termin zu finden. Wir sind froh, dass es heute geklappt hat.“

Mit dem Ventilator wird die Hülle aufgeblasen.

Aufbau mit vereinten Kräften

Ein bisschen verschlafen sehen alle Beteiligten aus, als sie Hände schütteln und sich mit Vornamen vorstellen. Schließlich fällt es nicht jedem leicht, am Sonntagmorgen um halb fünf aufzustehen. Jens, leidenschaftlicher Ballonfahrer und Vorsitzender des Vereins Wetterauer Montgolfieren, bittet alle, in seinem VW-Bus Platz zu nehmen und schon geht es zur Startwiese. Noch ist das Gras mit Tau bedeckt und alle bekommen nasse Füße. „Die trocknen bald wieder“, sagt Thorsten und lacht. Gemeinsam werden Ballonkorb und Brenner aus dem Anhänger gehievt, mit vereinten Kräften auf die Startwiese gebracht. Im geflochtenen Weidenkorb müssen neben den drei Gästen und dem Piloten auch vier Gasflaschen sowie Flugfunkgerät, GPS und Variometer Platz finden. Fast 36 Kilogramm wiegt eine der gefüllten Gasflaschen. Mehr als 20 Kilogramm Propangas sind darin. Nach der Landung werden zwei Flaschen leer und eine weitere halb leer sein.

Jens schaut zu den Baumwipfeln. Die Thermik hat noch nicht eingesetzt und die Vorhersage ist gut“, kalkuliert der Pilot und erklärt: „Der Ballon kommt gut mit Wind zurecht, wenn wir oben in der Luft sind. Hier unten am Boden reagiert er aber darauf sehr empfindlich.“

Immer dem Schatten hinterher (Foto: Anke Rau)

Einweisung der Neulinge

Mit einem Ventilator wird die Ballonhülle, die ein Volumen von3000 Kubikmetern hat, zügig aufgeblasen und anschließend mit dem Brenner die Luft in der Hülle erhitzt, damit der Ballon aufsteigt. Nach Aufbau und Sicherheitscheck steigen Pilot und Gäste in den Korb. Alle warten darauf, dass Jens das Zeichen zum Abheben gibt. Noch sichern die Bodencrew und eine mit dem VW-Bus verbundene Startfessel den Korb.

Ruhig und vertrauenserweckend weist Jens nun seine Passagiere ein: „Wir fahren heute Morgen in westliche Richtung. Während der Fahrt könnt ihr euch am Korbrand festhalten. Und an den Gurtschlaufen. Nicht an den Schläuchen und nicht an den roten Leinen hier. Die gehören während der Fahrt mir. Ganz wichtig: Steigt bei der Landung erst aus dem Korb, wenn ich es euch sage.“ Die Gäste nicken. Der 39-Jährige befeuert den Brenner, löst die Startfessel. Sanft hebt der Heißluftballon vom Boden ab, steigt höher und höher. Startplatz, Verfolgerfahrzeug und Bodencrew werden schnell kleiner. „Glück ab! Gut Land!“ rufen die Verfolger dem Ballon unisono hinterher.

Technik im Ballonkorb (Foto: Anke Rau)

Einzigartiges Landschaftserlebnis

Oben ist es still. Windstill auch. „Weil wir mit dem Wind fahren“, erklärt Jens. Nur wenn er alle paar Minuten mit dem Brenner die Hülle befeuert, wird es laut.

Die Gäste können sich nicht sattsehen an Dörfern und Weiden, an Äckern, Wald und Bachläufen, die sich durch die liebliche Landschaft schlängeln. Wie sich Ronneburg in die Landschaft schmiegt. Dort ist die Hohe Straße zu erkennen, die von Enkheim nach Hammersbach und weiter nach Büdingen führt. Hinter dem Ballon ist der Vogelsberg zu sehen, mit Taufstein und Herchenhainer Höhe. Mit etwa 20 Kilometer pro Stunde, zwischen 200 und 500 Meter über Grund geht es mit dem Wind nach Westen, Frankfurter Skyline und Feldberg im Taunus voraus. „Das ist ein richtig toller Tag, um Ballon zu fahren“, sagt Jens zufrieden. Auch er genießt die Aussicht. „Keine Fahrt ist wie die andere. Die Jahreszeiten, das Licht, die Wetterbedingungen sind ja nie gleich“, schwärmt er. Bereits im Alter von neun Jahren, bei der ersten Fahrt mit seinem Vater, hat er den Ballonfahrervirus eingefangen. Das ist jetzt mehr als 30 Jahre her. Fast 500 Mal ist er seitdem mit dem Ballon aufgestiegen. Zuerst als Passagier, ab dem Jahr 2000 als Luftfahrzeugführer.

Unter dem Korb zieht die Landschaft langsam dahin. Der Ballonschatten gleitet lautlos über die Felder. Die Zeit lässt sich dehnen in der klaren, friedlichen Frische des Morgens. Alles am Boden sieht aus wie Spielzeug. Putzige Postkartenidylle. Nur die Märklin-Eisenbahn fehlt. Von oben wirkt alles so aufgeräumt. Ackergrenzen wie mit dem Lineal gezogen. „Das wird bestimmt alles mit der Hilfe von GPS-Navigation bearbeitet“, vermutet Anke. Noch sind die Wege menschenleer. Nur wenige Autos sind unterwegs. Blau leuchten Swimmingpools in den Gärten. Straßen  winden sich eigenwillig durch alte Ortskerne und teilen Neubaugebiete in rechteckige Teile. „Die Rapsblüte und auch die Baumblüte ist vorbei, aber es gibt im Augenblick ganz tolle Grün-Nuancen“, wird Anke später erzählen. „Man sieht nirgendwo unbestellte Äcker, überall wächst und gedeiht es.“

Spielzeuglandschaft

„Haltet euch gut fest“

Bei den Abendfahrten bellen oftmals Hunde dem Ballon wütend nach. „Sie hören das Geräusch des Brenners und reagieren darauf“, erklärt Jens. Doch heute Früh sind sie wohl ebenfalls noch zu verschlafen dafür. Kein Bellen, nicht einmal Hühnergackern ist in den Dörfern zu hören. Hinter dem Reichelsheim Flugplatz lässt Jens den Ballon langsam sinken. Das Spielzeug unten am Boden wird größer. Die Ballonfahrt neigt sich ihrem Ende zu. Im Osten klettert die Sonne träge den Himmel hinauf. Der erfahrene Ballonpilot leitet die Landung ein. „Sichert eure Kameras und eure Handys. Haltet euch gut fest. Ihr solltet mit leicht gebeugten Knien stehen. Der Ballon kann beim Landen umkippen.“ Doch Jens bringt sein Luftfahrzeug punktgenau auf einem Schotterweg zwischen Florstadt und Reichelsheim zu Boden. Der Ballon kippt nicht, schwankt nicht einmal, sondern sinkt ganz sacht auf den Feldweg. „Fast anderthalb Stunden sind wir in der Luft gewesen“, informiert Jens seine Gäste nach einem Blick auf seine Uhr. Schon nähern sich Torsten, Thorsten und Christian, die dem Ballon im VW-Bus samt Anhänger am Boden gefolgt sind. Sie halten den Korb, während Mirko und Anke aussteigen. Den beiden Ballonneulingen hat ihre Jungfernfahrt ausgesprochen gut gefallen. „Ich war schon ein bisschen aufgeregt“, bekennt Mirko. „Aber Start und Landung waren ganz sanft.“ Bodencrew, Passagiere und Pilot packen an, um Ballon, Korb und Gasflaschen im Anhänger zu verstauen. Keine halbe Stunde dauert das. Anschließend steht noch ein wichtiger Programmpunkt an: die Ballonfahrertaufe, die jedem Neuling zuteilwird. Feierlich und nach einer Ansprache von Jens , der auch die Geschichte der Brüder Mongolfier umreißt, werden die Gäste mit ein wenig Sekt benetzt und so in den Ballonfahrer-Adelsstand erhoben. Danach frühstücken Baroness Anke und Mirko Freiherr von Offenbach mit allen. Die frischgebackene Baroness sagt beschwingt: „Ich würde nach dem Frühstück sofort wieder mit dem Ballon in die Luft steigen.“ Aber Wind ist aufgekommen und die Sonne sticht. Also fahren die beiden Offenbacher von einzigartigen Eindrücken beseelt und immer noch ein wenig müde nach Hause.

Kurz vor der Landung

Infobox

In das Thema „Ballonfahren“ können Interessierte zum Beispiel bei dem Verein „Wetterauer Montgolfieren e.V.“ und dem „Ballon-Club Kinzig e.V.“ hineinschnuppern. Erstgenannter wurde im Jahr 2000 von zwölf Ballonsportinteressierten gegründet. Der Langenselbolder Klub wurde 1973 von sieben Freunden ins Leben gerufen. Beide Vereine besuchen nationale wie internationale Veranstaltungen und Wettbewerbe. Interessantes über den Verlauf einer Ballonfahrt und technische Informationen finden sich auf den Vereinswebseiten: www.ballonverein.de beziehungsweise www.ballonclub-kinzig.de.