Namen als zweite Haut

Professor Hans Ramge in seinem Arbeitszimmer (Foto: Kaltenschnee)

Heißt du vielleicht Ofenloch?

Biebertal. Müller, Färber oder Schmied, Klein, Dürr, Lang oder Klug sind Familiennamen, die in ganz Deutschland verbreitet sind und deren Herkunft offensichtlich ist. Daneben gibt es Namen, die nur regional vorkommen und manchmal seltsam anmuten. Der Gießener Germanist und emeritierte Professor Hans Ramge hat sich zehn Jahre lang auf die Spur hessischer Familiennamen wie Klohoker, Anthes oder Trageser begeben und deren Bedeutung erforscht.

Herr Professor Ramge, was fasziniert Sie an Familiennamen?

Als Student an der Mainzer Universität habe ich meine Doktorarbeit über rheinhessische Flurnamen geschrieben. Damals hat meine berufliche Beschäftigung mit dem Thema angefangen. Aber auch Namenrätsel interessieren mich seit langem. Warum heißt einer Schimmelpfennig oder Trumpfheller? Ich versuche es herauszubekommen. Mit langjähriger Erfahrung, Gespür und Glück gelingt das meistens. Sowohl bei Flurnamen als auch bei Familiennamen. Aber Flurnamen verfügen über örtliche Merkmale, die oft Erklärungen bieten. Familiennamen dagegen vagabundieren durch die Jahrhunderte.

Wie erklären Sie das Interesse der Menschen am eigenen Nachnamen?

Der Familienname hat immer etwas mit der eigenen Identität zu tun. Er ist eines von mehreren identitätsstiftenden Elementen, die einen Menschen individualisieren; wie eine dem individuellen Geschmack entsprechend eingerichtete Wohnung, der ergriffene Beruf und so weiter. Der Familienname ist wie ein vollkommen passendes Kleid, wie die Haut selbst, wie Goethe einmal schrieb. Kein Mantel, den man ausziehen kann, an ihm zupfen oder zerren.

Seit wann gibt es Familiennamen überhaupt?

In Hessen wurden Familiennamen um 1300 üblich. Bis sie sich landesweit etabliert hatten, dauerte es einige Jahrzehnte. Erst um 1500 hatten alle Hessen einen Familiennamen. Zuerst war das so eine Modegeschichte, die aus Italien und Frankreich zu uns kam. Aus Beinamen, man kennt sie von Karl dem Großen oder Friedrich Barbarossa, wurden Familiennamen. Nach und nach übernahm die Bevölkerung die Mode. Familiennamen verbreiteten sich zuerst in den Städten. In deren Bewohnerfülle war die Identifizierbarkeit allein durch Vornamen nicht mehr möglich. In den kleinen Städten war das anders. Hier wusste man noch lange, wer gemeint war, wenn man Hinz und Kunz – Heinrich und Konrad – sagte. Die Entstehung der Schriftlichkeit ist deshalb der wichtigere Grund für die Entstehung von Familiennamen: Die Gemeinden und Herrschaften begannen alles aufzuschreiben: Steuern, Abgabenlisten, Bürgerrechte und –pflichten. Um diese Schriftstücke und deren Inhalte dauerhaft zu sichern, brauchte man identifizierbare Namen. Deshalb haben sich auch auf dem Land, in den kleinen Dörfern und Städten innerhalb von Jahrzehnten Familiennamen durchgesetzt.

Da stellt sich die Frage: Warum wird wer wie genannt?

Das ist einfach: Wenn man überlegt, wonach Menschen überhaupt benannt werden können, kommt man schnell auf deren Lebenssituation. Namen beantworten, wo einer wohnt, wo er herkommt, was er tut, wie er aussieht, welche Eigenschaften er hat, wie sein Vater hieß oder ob er mit einem besonderen Ereignis in Verbindung gebracht wird. Wenn sich das erst einmal im Umfeld festsetzt, bleibt der Name an der Person, dann an der Familie hängen. Familiennamen sind zumeist Fremdbenennungen. Jemand namens Langener wohnte in Langen, ist aber weggezogen. Zinn heißt einer, der beruflich mit Zinn arbeitet. Decher ist jemand, der sich mit Lederherstellung befasst. Anthes ist aus dem Rufnamen Antonius entstanden, Becht aus Berthold. Graulich bezeichnet eine Eigenschaft des ersten Namensträgers: Schrecken oder Grauen erregend.

Aus Ihrem persönlichen Interesse an diesem Thema ist ein Buch über hessische Familiennamen entstanden. Sie unterscheiden darin zwischen Namen in Hessen und hessischen Namen.

Jeder Name, der in Hessen vorkommt, ist ein Name in Hessen, aber noch kein hessischer Name. Zu den tausend häufigsten Namen, die in Hessen vorkommen, gehören auch türkische wie Yilmaz, Sahin oder Kaya.

Was also ist ein hessischer Familienname?

Um diese zu einzugrenzen, habe ich drei Kriterien formuliert. Erstens, die relative Häufigkeit von Familiennamen bezogen auf Deutschland. Das heißt Namen, von denen mindestens ein Viertel der heute bundesweit vorkommenden Namensträger in Hessen leben. Zweitens, Namen, die im Laufe der Jahrhunderte zum Beispiel aus den Alpenländern und Frankreich nach Hessen kamen, wie etwa Cezanne oder Bouffier. Außerdem solche, die zum Beispiel aus Thüringen oder anderen Nachbarregionen einwanderten. Drittens natürlich und vor allem Namen, die nachweislich oder vermutlich hier entstanden sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Zahl der Namensträger meist nicht übermäßig groß ist und sie vorwiegend im Ursprungsbereich vorkommen.

Gibt es typische Offenbacher Namen?

Ja, in Offenbach gibt es eine Reihe davon. Sogar sehr spezielle. Einer davon ist Klohoker. Klo, Klohe ist ein ausgestorbenes, aber gut belegtes Wort für Holzscheit, Hoker weist auf einen Kleinhändler hin. Der erste Klohoker war also ein Händler, der mit Holzscheiten handelte. Dann gibt es Namen wie Blumöhr oder Blumör. Die meisten Träger dieses Namens wohnen in den Kreisen Offenbach und Main-Kinzig. Möglich ist, dass eine Blumenau, eine Au mit Blumen also, namensgebend war und der Name sich über Blumenauer und Blumenäuer zu Blumöhr entwickelt hat. Auch französische Namen wie Bonifer oder Subtil finden sich. Subtil ist ein Eigenschaftsname, der aus dem Französischen stammt. Das Wort bedeutet im Französischen feinsinnig, scharfsinnig, aber auch spitzfindig. Der Name Subtil ist wahrscheinlich mit der Gründung Neu-Isenburgs durch Hugenotten Ende des 17. Jahrhunderts in die Region gelangt. Charakteristische Namen für die Gegend sind Merget – er leitet sich vom Frauennamen Merigarda ab –, Röll als Kurzform von Rudolf und Schnarr als Name für jemanden, der mit schnarrender Stimme spricht. Trageser gibt es zwar in ganz Hessen, aber die Hälfte von ihnen lebt im Main-Kinzig-Kreis. Der Name geht auf die verlassene Siedlung Trages bei Freigericht zurück.

Wie gehen Sie bei der Erforschung von Namen vor?

Zuallererst nutze ich das Internet. Nehmen wir mal Ihren Namen: Kaltenschnee. Er kommt regional begrenzt vor: im Vogelsberg und Wetteraukreis. Der Name wird auf einer Internetseite, die sich mit Genealogie befasst (gedbas.genealogy.net) in Gunzenau im Vogelsberg gefunden und zwar um 1733. Um 1590 ist er in Eichstätt historisch belegt. Da haben drei Kaltenschnees nacheinander am Hof des Bischofs als Trompeter gewirkt. Das lässt sich bei Google herausfinden, wenn Sie sich – wie ich – durch 20 Seiten klicken. 98 Prozent der Einträge, die Google anbietet, sind uninteressant, aber einige eben nicht. Ob die Kaltenschnees von Eichstätt nach Gunzenau ausgewandert sind oder umgekehrt, bleibt an dieser Stelle offen. Auf eine solche Suche kann sich jeder begeben, der mehr über seinen Familiennamen erfahren möchte.

 

Hintergrund

Zur Person

Hans Ramge (77) ist emeritierter Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dort hat er von 1970 bis 1975 und dann wieder ab 1978 bis zu seiner Emeritierung 2005 germanistische Sprachwissenschaft gelehrt. Namenforschung und Sprachgeschichte im hessischen Raum gehören zu seinen langjährigen Schwerpunkten. Bekanntheit erlangte Ramge besonders als Leiter des hessischen Flurnamenarchivs.

Das Buch

Zehn Jahr lang hat Hans Ramge zu Familienamen geforscht und darüber ein Buch geschrieben. „Hessische Familiennamen. Namensgeschichten – Erklärungen – Verbreitungen“ ist 2017 im Verlag Regionalkultur in Ubstadt-Weiher erschienen. Das Buch hat 336 Seiten, ist im Buchhandel erhältlich und kostet 27,80 Euro. Hans Ramge erzählt darin nicht nur Namensgeschichten, sondern erklärt die Herkunft vieler hessischer Familiennamen und gibt Tipps, mit welchen Hilfsmitteln sich der eigene Name erforschen lässt.

Das Interview ist im Dezember 2017 in der Offenbach Post erschienen.