Etwa 20 Menschen im Alter von 55 bis 92 Jahren betreuen Katja Weinel und ihr Team in der Tagespflege des Roten Kreuzes im Büdinger Bachmichel. Wobei von Alten- oder Krankenpflege, wie sie etwa in einer Klinik oder in einer Senioreneinrichtung angeboten wird, dort keine Rede sein kann. Das wird spätestens deutlich, wenn Heinz Hanauer, Lieselotte Groll und Karl Hennewald zu Wort kommen. Die beiden Männer, der eine 89, der andere 72 Jahre alt, sind seit 2018 regelmäßig Gäste im Bachmichel. Lieselotte Groll, Mutter von sechs Kinder, Oma von 13 Enkelkindern und Uroma mit 11 Urenkelkindern, sogar noch länger: „Ich bin Jahrgang 33 und seit 2016 komme ich her“, sagt sie resolut und: „Rechnen Sie das ruhig mal aus.“
Heinz Hanauer, gebürtiger Niedersachse aus Lauenstein bei Hameln, ist gemeinsam mit seiner mittlerweile verstorbenen Frau 1998 nach Düdelsheim gezogen. Damals wollte seine Schwiegertochter wieder arbeiten gehen. „Wir sind zu den Kindern gezogen, um sie zu unterstützen“, berichtet der 89-Jährige. 2016, im Todesjahr seiner Frau, wurden Heinz Hanauer beide Unterschenkel amputiert. „Durchblutungsstörungen“, erklärt er. Das Haus in Düdelsheim wurde daraufhin alters- und behindertengerecht umgebaut, eine Rampe am Balkon installiert, damit er mit dem Rollstuhl selbständig ins Haus kommt. Anderthalb Jahre darauf war er erstmals in der DRK Tagespflege im Bachmichel zu Gast – und seitdem jeden Donnerstag. „Ich fühle mich wohl, sonst wäre ich ja nicht mehr hier“, sagt Heinz Hanauer und lacht. „Wir spielen Gesellschaftsspiele, Anke Gottwals, eine der Betreuerinnen, liest zum Frühstück aus der Zeitung vor, wir gehen spazieren. Die Mittagsruhe kommt natürlich auch nicht zu kurz. Wir kochen regelmäßig zusammen“, berichtet er. Kartoffelschälen oder Zwiebeln schneiden, sich dabei mit den anderen unterhalten: Das gefällt ihm. Genau wie das Zusammensein mit den anderen Gästen, mit den Betreuungskräften. „Sie freuen sich, wenn ich komme. ‚Der Hanauer mischt den Laden auf‘, sagen sie dann.“ Mit gegenseitigem Wohlwollen und Respekt, versteht sich.
Auch Lieselotte Groll aus Vonhausen gefällt das gemeinsame Kochen. „Beim Kartoffelschälen bin ich die Beste“, sagt sie vergnügt und: „Ich habe sieben Kinder großgezogen. Da hat man das im Blut“. Die 88-Jährige hat seit ihrer Geburt ein Augenleiden und erblindet nach und nach. Außerdem benötigt sie rund um die Uhr Sauerstoff. Sie hat also stets ein Sauerstoffgerät bei sich, das aussieht wie ein Rollkoffer, von dem ein transparenter Schlauch zur Nase führt und sie mit Sauerstoff versorgt. „Davon habe ich eins zuhause und eins in der Tagespflege. Auf der Autofahrt von hier nach Vonhausen trage ich es nicht. Diese 15 Minuten halte ich aus.“ Montags, dienstags, donnerstags und freitags kommt Lieselotte Groll in die Tagesplfege. „Am Mittwoch faulenze ich“, sagt sie und lacht schon wieder. Sie spielt gern Mensch-ärgere-dich-nicht und findet auch die Gymnastik klasse, die Pflegedienstleitung Katja Weinel und ihr Team regelmäßig anbieten. Beim Kegeln und Ringe-Werfen macht sie jedoch nicht mit. „Dafür sehe ich zu schlecht“, erklärt sie und ergänzt: „Aber wenn ich etwas nicht sehe oder etwas nicht kann, dann helfen mir alle.“ Manchmal würde sie bei einem Spiel gewinnen und dann würden die anderen sagen: „Sie sieht zwar nichts, aber sie ist die Beste.“ Als die Tagespflege im März 2020 im ersten Lockdown für lange Wochen schließen musste, sei das für sie eine schlimme Zeit gewesen. „Lieber sterbe ich an Corona, als an Einsamkeit“, hat Lieselotte Groll damals zu Katja Weinel gesagt.
Karl Hennewald wiederum ist seit gut drei Jahren regelmäßig in der Tagespflege zu Gast. Der gebürtige Mittelfranke und gelernte Bankkaufmann hat Mitte der 1970er Jahre eine Stelle in Frankfurt angenommen und dort gewohnt. Nach ihrer Heirat haben seine Frau und er in Altenstadt-Waldsiedlung ein Grundstück gekauft und später ein Haus darauf gebaut. Zwei Kinder hat das Ehepaar: Der Sohn lebt in Butzbach, die Tochter in Altenstadt. Der Kontakt ist eng. In die Tagespflege kommt Karl Hennewald mittlerweile dreimal in der Woche: dienstags, donnerstags und freitags. „Meine Frau arbeitet noch. Ich komme her, um mich mit anderen zu unterhalten, um in Gesellschaft und nicht zuhause allein zu sein. Wir haben viel Abwechslung“, berichtet er zufrieden. An jedem Wochentag seien andere Menschen da. Auf diese müsse er sich immer wieder einstellen und das halte ihn fit. Der 72-Jährige findet immer jemanden, mit dem er auf einer Linie ist. Am meisten mag er die Quizspiele, aber auch das Dartspiel im Foyer. Erst vor ein paar Tagen habe man gemeinsam Stadt-Land-Fluss gespielt, erinnert er sich. Das habe großen Spaß gemacht. Dieses Gemeinsame gefällt dem ihm – und dass sich die Betreuerinnen so zugewandt um alle kümmern, vor allem um jene, die durch ein Gebrechen gehandicapt sind. „Es wird auf alle gleichermaßen geachtet“, sagt er. Leider könnten er und die anderen Tagespflegegäste nicht mehr so gemütlich zusammensitzen wie vor Corona. „Es ist alles etwas beschränkter“, bedauert Karl Hennewald: „Ich komme aber trotzdem gern her. Müsste die Tagespflege schließen, würde mir wirklich etwas fehlen.“
Ein Ort zum Wohlfühlen, an dem sich Menschen treffen und gemeinsam Zeit verbringen. An dem keiner an Aktivitäten teilnehmen muss, aber jeder das kann, wenn er oder sie möchte. An dem sich Betreuerinnen zugewandt um andere Menschen kümmern: So lassen sich Tagespflegeeinrichtungen beschreiben. Wie anders liest sich das auf den Internetseiten, die das Ziel verfolgen, Angehörigen das Konzept zu erläutern. Von „häuslichen Pflegesituationen“ ist da die Rede und von „pflegenden Angehörigen, die eine Auszeit nehmen können“. Von „Leistungen der Pflegeversicherung“ und von „finanzieller Unterstützung durch die Pflegekassen“, von „Pflegediensten“, „Sozialgesetzbuch“, „Medizinischem Dienst der Krankenkassen“ und „Pflegegrad“. Pflegedschungel in bleigrau. Vielleicht sollten Menschen wie Karl Hennewald, Lieselotte Groll und Heinz Hanauer einfach öfter zu Wort kommen und von der lebendigen, der bunten Seite der Tagesbetreuung berichten.