IS-Milizen terrorisieren Dudenrod

2013-04-28 15.54.05

von unserer Korrespondentin in Büdingen Relotia Claas

Während sich im Ruhrgebiet smarte Politiker mit Einstecktüchern vor laufenden Kameras beredt über die Scharia-Polizei erregen, haben blutjunge deutsche IS-Milizen in einem 200-Seelen-Dorf abseits der Bundes- und Landesstraßen ein “Dudenroder Kalifat“ errichtet und herrschen dort mit unvorstellbarer Grausamkeit. Der 22jährige deutsche IS-Kämpfer Wolf Wolf-Manzel, der seit seiner Jugend in Dudenrod wohnt, bezeichnet sich in den Medien als Anführer der dortigen Gotteskrieger.

Wolf-Manzels Eltern, Ignaz und Hilda, waren in 90er Jahren in den kleinen Ort gekommen, um ihrem Buben eine naturnahe Kindheit zu ermöglichen. Mit dem Umzug von Darmstadt nach Dudenrod änderte sich für die Familie das Leben schlagartig. Während Vater Ignaz Manzel(57) bisher mit dem Fahrrad an die Uni hatte radeln können, pendelte er dann nahezu täglich mit dem Auto in die etwa 80 Kilometer entfernte Jugendstilstadt. Vater Manzel arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Professor für Regelungstechnik und Mechatronik an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Mutter Hilda, promovierte Kunsthistorikerin, gab ihre Anstellung im Hessischen Landesmuseum mit dem Umzug auf und kümmerte sich fortan um Haus, Hof, Sohn und Dekoration. Doch nach drei Jahren in der hessischen Provinz zog die Mutter überrasachend aus. „Ich habe es dort mitten im Wald nicht länger ertragen. Diese kleinbürgerliche Enge, die samstäglich mit dem Besen auf die Straße gekehrt wird… C’est trop étouffant!“, sagte die 46jährige damals zu Freunden, bei denen sie untergekommen war: „Ich bin ein Stadtmensch und brauche Kunst und Kultur wie die Luft zum Atmen.“ 1996 ließen sich die Eltern scheiden. Wolf und sein Vater blieben in Dudenrod, die Mutter zog nach Wiesbaden zu ihrem Freund, wo sie 2011 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb. Tragisch: Wolf Wolf-Manzel hat seine Mutter nach deren Flucht aus Dudenrod nie wiedergesehen.

<Foto Familienglück>

Hätte Ignaz Wolf-Manzel freilich geahnt, wohin der gut gemeinte familiäre Rückzug in die Ausläufer des Vogelsbergs führen würde, hätte er sich 1991 gegen Dudenrod entschieden: „Hier wurde mein Sohn radikalisiert. Hier habe ich meine Frau verloren.“ Auch wenn der kleine Ort und seine Bewohner wahrlich nicht für die Entwicklung des Buben verantwortlich gemacht werden kann: Sicher ist, dass Wolf-Manzels Leben in der freigeistigen Studentenstadt am Woog anders verlaufen wäre.

Auch wenn wir uns in die Sphären der Spekulation begeben: Die Zeiten ohne Ehefrau, Mutter und die gewohnte jahreszeitlich variierende Dekoration dürften für Vater und Sohn nicht einfach gewesen sein. Ignaz Wolf-Manzel zog nach der Scheidung ernsthaft in Erwägung, nach Darmstadt zurückzukehren. Doch als Folge einer letzten, ja verzweifelt formulierten Stellenanzeige in der Büdinger Lokalzeitung – „Haushälterin ohne Liebe gesucht“ – trat Fida P. in das Leben der beiden Zurückgelassenen. „Zum Glück habe ich Fida überreden können, sich um Wolf zu kümmern. Sie war wenige Jahre zuvor mit ihrer Familie aus Aleppo nach Deutschland geflüchtet und froh, eine sinnvolle Beschäftigung gefunden zu haben. Auch wenn ich ihr nur wenig dafür zahlen konnte“, resümiert Wolf-Manzel senior.

Wolf Wolf-Manzel besuchte die Grundschule in Wolf und anschließend das Wolfgang-Horst-Gymnasium in Büdingen, dem zu dieser Zeit bereits der Ruf einer Eliteschule vorauseilte. Mit einem Abiturdurchschnitt von 0,8, ausgezeichnetem Verständnis für mathematische Zusammenhänge und seinem Hobby – Teilchenbeschleunigung –, stand einem Studium und einer universitären Karriere nichts im Wege. Doch Wolf-Manzel entschied sich anders. Nachdem sich aufgrund von Mittelkürzungen durch die damalige Bundesregierung sein Wunsch zerschlug, im Büdinger Altenheim ein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren, entschloss sich der Abiturient trotz der eindringlichen Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes zu einem Auslandsaufenthalt in Syrien. Arabisch sprach er fließend und akzentfrei. Das hatte ihm Fida, seine Amma, beigebracht.

<Foto Fida>

Ein halbes Jahr nach dem Abitur machte sich Wolf-Manzel auf den Weg nach Aleppo. Sein eigentlicher Einsatzort: ein Krankenhaus in Abu Kamal, eine Stadt kurz vor der Grenze zum Irak, im Euphrattal etwa 500 Kilometer von Aleppo entfernt. Der größte Teil der Einwohner lebt nach wie vor vom Schmuggel. Nach einer strapaziösen Autofahrt durch die Wüste erreichte Wolf-Manzel Abu Kamal im November 2011 und bezog ein Zimmer in einer billigen Herberge im mesopotamischen Teil der Stadt. Wie man heute weiß, unterstützen seine Herbergseltern die Terroristen, die sich selbst „Islamischer Staat“ nennen, schon seit Jahrzehnten. Die Familie vermietet Zimmer zu einem auffallend geringen Mietpreis an junge Männer – bevorzugt an Europäer, um diese an die Ideologie des IS heranzuführen. Dort in der Herberge also muss der junge Deutsche mit den Terrorkämpfern in Kontakt gekommen sein.
Über seinen Aufenthalt in Abu Kamal wissen wir wenig. Selbst intensive Recherchen haben so gut wie keine Informationen zutage gefördert. Nur so viel: Im Krankenhaus war Wolf-Manzel beliebt. Seine Arbeit verrichtete er zuverlässig und selbst bei 72 Stunden-Schichten klaglos. Kein einziges Mal reiste er nach Hause, sein Vater besuchte ihn nie. Regelmäßig soll er jedoch mit Fida telefoniert oder geskypt haben.

<Foto Behördenbriefe>

Unserer Redaktion liegt ein Schriftwechsel vor, aus dem hervorgeht, dass Wolf-Manzel, der sich in Abu Kamal den Namen Walid – der Neugeborene – gab, in Syrien bleiben wollte. Die syrischen Behörden lehnten Wolf-Manzels Ersuchen ab. Nach anderthalb Jahren kehrte der inzwischen bekennende IS-Anhänger nach Dudenrod zurück.
Der 21jährige überredete kurze Zeit nach seiner Ankunft seinen Vater, ihm Haus und Hof und das gesamte zu erwartende Erbe einschließlich Dekoration bereits zu Lebzeiten zu überschreiben. Der Vater verweigerte sich diesem Ansinnen eine Zeitlang, stimmte dann aber doch zu. Sobald der Sohn notariell als Eigentümer bestätigt war, warf er den Vater aus dem Haus. Dudenrod reagierte entsetzt. Doch da der Vertrag rechtsgültig war, blieb dem Vater nichts anderes übrig, als sich eine Wohnung in Darmstadt zu nehmen. „Mit meinem Sohn bin ich fertig. Für immer“, beteuert der Professor uns am Telefon mit brüchiger Stimme, „ich frage mich, was wir falsch gemacht haben.“

<Foto entsetzter Dudenroder>

Keine vier Wochen später kaufte Wolf-Manzel das Dudenröder Tagungshotel „Simplicissimus“ mit seinen 40 Zimmern für eine unbekannte Summe. Im nahen Wolf munkelt man von einem dreistelligen Millionenbetrag. „Woher hat der Bub bloß das Geld?“ fragt Anneliese G., die Frau des Feldscher, die gerade die Straße vor der kleinen Kirche kehrt. „Von seim Vatter bestimmt net“, ist sich die Nachbarin Monika F. sicher. Weitere Fragen möchte sie nicht beantworten: Mit einem gehetzten Blick die Straße hinunter greift sie nach dem Kissen, auf dem bis eben ihre Ellenbogen auflagen, schließt schnell das Fenster und lässt die vergilbten Kunststoffjalousien herunterrasseln. Auch die Frau des Feldschers verschwindet mit einem knappen Nicken im Haus. Drüben, wo die Straße durch den Wald nach Dudenrod hinaufführt, steht eine kleine vermummte Gestalt. Jetzt wendet sie sich um und klettert über die Straßenbarrikaden, die der Bundesgrenzschutz zum Schutz der Wolfer gegen die IS-Separatisten und deren Dudenroder Kalifat errichtet hat. Lautlos gleitet die schwarzgekleidete Gestalt in den Wald zurück.

<Foto Frau mit Kissen im Fenster>

Was genau in Dudenrod passiert, darüber lässt sich bislang nur spekulieren. Es gibt zwei Zufahrtstraßen in das kleine Dorf. Beide sind gesperrt. Unpassierbar.
Sicher ist nur, dass nach Wolf-Manzels Kauf des Tagungshotels über einen Zeitraum von einem knappen halben Jahr immer wieder junge Männer nach Dudenrod gereist sind. Angeblich mieteten sie Zimmer im Hotel „Al Khamsa“, dem früheren „Simplicissimus“, an.
Inzwischen muss man davon ausgehen, dass ISIS nicht nur den Kauf des Hotels finanziert hat, sondern auch Anreise, Unterkunft und Verpflegung der Kämpfer unterstützt. Sicher ist auch, dass der Wald um Dudenrod vom Regierungspräsidium in Darmstadt zur Sperrzone erklärt worden ist. Der vor Gericht eingereichte Widerspruch der beiden Waldbesitzer – die Stadt Büdingen und die Zillertaler Inconsistentia AG – blieb unbeachtet. Die Behörden bestätigten vielmehr die Entscheidung des RP. Der Grund für die Einrichtung einer Sperrzone ist einleuchtend: Der selbsternannte Kalif von Dudenrod, Wolf Wolf-Manzel, hat seine Schergen angewiesen, den Büdinger Wald zur Ausbildung der IS-Kämpfer zu nutzen. Das ist zwar eindeutig gesetzeswidrig, doch die Staatsgewalt sieht bislang tatenlos zu, wie sich das Terrorgeschwür immer weiter ausbreitet und die Gegend um Dudenrod zu einem rechtsfreien Raum wird.

<Foto Flüchtlinge>

Etwa 140 Dudenrödern ist in den letzten Wochen die Flucht aus ihrem Heimatdorf gelungen. Alle, die im Dorf geblieben sind, werden als Geiseln betrachtet. Wolf-Manzel hat mit der Enthauptung von Geiseln gedroht, sollte versucht werden, nach Dudenrod vorzudringen.
Fast alle der 140 Flüchtlinge sind bei Verwandten untergekommen. Büdingens Bürgermeister Uwe Mond-Sparritz hat den Verbleibenden Notunterkünfte besorgt. Neben dem Hotel Salzach haben die Pension Bieffe sowie zahlreiche Bürger Flüchtlinge aus Dudenrod aufgenommen.

Bei einer hochschwangeren jungen Dudenröderin hatten die Strapazen der Flucht zu vorzeitigen Wehen geführt. Sie wurde im Dorothen-Krankenhaus von einem gesunden Jungen entbunden und gemeinsam mit ihrem Mann von der Familie des Oberarztes aufgenommen. Unter Tränen berichtete Camilla-Yvonne Schmidt von der Flucht zum Christinenhof und zu weiter zum Sandhofweiher: „Zuerst sind wir zum Christinenhof gerannt und haben gehofft, dort auf Hilfe zu stoßen. Doch an den Viehställen angekommen mussten wir feststellen, dass der Hof verwaist ist. Wir haben uns durch das Unterholz geschlichen und wussten nicht, ob die noch hinter uns her sind. Es war furchtbar.“ Ihr Mann Holger Schmidt freut sich, dass es ihm und seiner Yvonne gelungen ist, überhaupt aus Dudenrod herauszukommen: „Meine Gedanken sind bei den Nachbarn, die zurückgeblieben sind. Sie wollten den bettlägerigen Opa nicht allein lassen.“ Sorgen um die Zukunft macht sich Schmidt große: „Wir mussten alles dalassen. Ich bin fassungslos, dass die sich so einnisten konnten. Sowas passiert doch sonst immer nur anderswo auf der Welt, aber nicht bei uns in Mitteleuropa.“

Selten hat die Bundesregierung unter Andrea Mörtel so unfähig reagiert wie bei dieser Bedrohung von innen. Hilflos wird in Berlin und Wiesbaden zugesehen, wie innerhalb eines Jahres ein ganzes Dorf in der Mitte der Republik zu einer rechtsfreien Zone wird – und dies nicht einmal heimlich im Untergrund, sondern vor den Augen der Behörden. Die Kommentatoren und die Opposition, ja selbst große Teile der Koalition sind sich einig: Das hätte in unserem demokratischen Rechtsstaat nicht passieren dürfen.

Zur Stunde ist offen, welchen Weg Politik und Behörden einschlagen, um das Dudenroder Kalifat zu zerschlagen. Klar ist nur, dass es allerhöchste Zeit ist zu handeln, damit sich der Terror nicht weiter ausbreitet.

 

 

PS Diese Geschichte habe ich im Jahr 2014 geschrieben, als der Islamische Staat sich langsam ausbreitete und damit in das Bewusstsein der Westeuropäer drang. Lange bevor Millionen Flüchtlinge sich auf den Weg machten. Ich habe mich damals gefragt: Wie kann man etwas, das so weit weg geschieht, für unsere Gegend erzählen? Was macht das mit uns?