Es ist früh am Morgen, der Tag frisch, die Sonne steht noch tief im Osten, taucht Wald und Feld in goldenes Licht. Tau liegt auf dem Gras, es riecht nach feuchter Erde. F., Jäger, Metzger, Landwirt in Personalunion, und sein Helfer befestigen den Anhänger an einem der Transporter Für diesen Tag ist eine Weideschlachtung angesetzt. 72 Stunden vor diesem Termin hat F. das Veterinäramt des Landkreises informiert, auch weil bei dieser Form der Schlachtung seit etwa einem halben Jahr immer ein Amtstierarzt anwesend sein muss. (Stand Herbst 2020)
Ein Auto fährt auf den geschotterten Platz vor der großen Scheune. Der Amtstierarzt steigt aus. Er begrüßt die Männer. Man kennt sich. „Zuerst die Papiere?“ fragt er F. und als der nickt, gehen sie gemeinsam nach drinnen. Auf einem Tisch breitet der Amtstierarzt Vordrucke aus und sagt: „Bevor eine Weideschlachtung durchgeführt wird, müssen erst einmal eine ganze Reihe Formulare geprüft werden.“ Zum Beispiel die „Lebensmittelketteninformation“, ein Blatt mit Angaben zu Halter und Tier sowie möglichen Vorbehandlungen, die Tierhaltererklärung zur Blauzungenkrankheit, der Rinderpass. Nach dem Tod des Tieres werden weitere dazukommen. Der Schütze selbst, also F., benötigt nicht nur eine waffenrechtliche Schießerlaubnis, sondern auch einen Sachkundenachweis nach Tierschutzschlachtverordnung mit der speziellen Erlaubnis, den „Kugelschuss“ auf der Weide durchzuführen zu dürfen. Auch der Tierhaltungsbetrieb muss sich die Weideschlachtung veterinärrechtlich genehmigen lassen. „Ich bin der am besten kontrollierte Metzger im ganzen Kreis“, lacht F. denn auch.
Er verfüge über eine ruhige Hand und reichlich Erfahrung als Schütze, wird der Amtstierarzt später noch berichten. Der 49-Jährige kennt sich mit Rinderhaltung, Schlachtung und Fleisch aus. „Ich habe bei ihm noch nie einen Fehlschuss erlebt“, sagt der Veterinär. Trotzdem ist F. an diesem Morgen angespannt. „Bis jetzt ist immer alles gut gegangen, aber gibt ja für alles ein erstes Mal“, sagt er.
„Haben sie Ohrstöpsel?“, erkundigt sich der Amtstierarzt nun. „Der Schuss ist ziemlich laut, vor allem, wenn man so etwas noch nie gehört hat.“ Da ist F. schon in den Nebenraum gegangen, um Ohrenschützer zu holen. „Sie können diese hier nehmen“, sagt er freundlich.
F. fährt den Transporter zur Weide. Ein weiterer Helfer ist mit dem Traktor schon vorgefahren. Auf einer Weide, idyllisch am Waldsaum gelegen, stehen sieben rotbraune Angus-Ochsen. Wie die anderen Ochsen des landwirtschaftlichen Betriebs, die zur Weideschlachtung gezogen werden, leben sie das ganze Jahr über draußen. Sie werden mit Futter in ökologischer Qualität gefüttert, alles aus eigenem Anbau.
Ein Weidezaun ragt einige Meter in die Weide und schafft einen abgegrenzten, aber an einer Seite offenen Bereich, innerhalb dessen der Kugelschuss erfolgen muss. Mit neugierig hochgestellten Ohren nähern sich die Ochsen. „Sie möchten gefüttert werden“, kommentiert der Amtstierarzt. Er betrachtet alle Tiere genau. Lebendbeschau, heißt das. „Da wir noch nicht wissen, welches Tier heute geschossen wird, muss ich alle auf ihren Gesundheitszustand kontrollieren.“ Zwar hat sich C. einen ganz bestimmten Ochsen für den Kugelschuss ausgesucht, ob der aber tatsächlich geschossen werden kann, ist davon abhängig, ob F. freies Schussfeld hat. Steht ein anderes oder gar mehrere Tiere zu nah, sucht sich der Schütze ein anderes Tier aus. Es kommt aber auch vor, dass die Unternehmung abgebrochen werden muss, weil kein Schuss ohne Gefährdung anderer Tiere möglich ist.
An diesem Morgen sind die Umstände günstig, es geht alles ganz schnell. Um kurz nach sieben Uhr legt F. sein Gewehr an. Alle Anwesenden ziehen sich hinter den Schützen zurück, weil dies aus Sicherheitsgründen so praktiziert werden muss. Es dauert nur einen kurzen Moment, bis der Jäger schießt. Ganz unverhofft ist – trotz Ohrenschützer – ein erschreckend lauter Knall zu hören. Auf der Weide stürzt ein Ochse zu Boden. Augenblicklich eilen C. und der Amtstierarzt auf die Weide. Zwischen Schuss und dem nachfolgenden Stich sollten nicht mehr als 60 Sekunden vergehen. Der Amtstierarzt prüft die Augenreflexe des Ochsen. „Sehen Sie: Da tut sich nichts“, sagt sie. Um 7.14 Uhr ist der stattliche Ochse entblutet, wie es in der Amtssprache heißt. Der Veterinär füllt das Begleitformular aus und trägt die Uhrzeit ein. Es ist alles in Ordnung.
Die anderen Ochsen auf der Weide beobachten das Geschehen. Sie wirken weder beunruhigt, noch verstört. Eher neugierig. Als F.s Helfer ihnen zerkleinerten Weizen mit Erbsen in die Futterrinne füllt, kommen sie zutraulich heran und beginnen zu fressen. „Das ist die beste Art zu schlachten“, sagt der Amtstierarzt überzeugt. „Tiergerecht und schonend. Ohne Lebendtransport. Und wie Sie sehen, werden die anderen Tiere nicht aufgeschreckt.“
Das Tier wird in die Wanne auf der Ladefläche des Anhängers gehoben. Dann wird es mit einer Plastikplane zugedeckt. „Innerhalb einer Stunde muss ich an der Schlachtstätte sein“, sagt F. Vom Amtstierarzt bekommt er alle ausgefüllten Formulare. Anschließend wird er sich in den Transporter setzen und zu einem Bauernhof ein paar Dörfer weiter fahren. Im dortigen Bio-Schlachtbetrieb wird er den Ochsen sofort ausweiden und zerteilen. Die Viertel werden dort zwei Wochen abhängen. Erst dann wird der Metzger das Fleisch portionieren und luftdicht in Folie verpackt mitnehmen. Das butterzarte Fleisch wird auf Bestellung verkauft. Bevor F. losfährt, verabschiedet er sich. „Heute Morgen hatten Sie mehr Adrenalin im Blut als die Ochsen“, sagt sein Besuch zu ihm. „Das können Sie laut sagen“, bestätigt der Jäger und macht sich auf den Weg.
Die Namen der Personen sind mir bekannt.