Weißes Gold in der Wetterau

Der Nachbau eines Sideofens auf dem Gelände der Keltenwelt auf dem Glauberg

Die Kelten in der Wetterau widmeten sich vermutlich schon Jahrhunderte vor Christi Geburt der Salzgewinnung. Salzsiedeöfen, deren Reste bei Ausgrabungen in Bad Nauheim gefunden wurden, legen diesen Schluss nah. Doch nicht nur bei Bad Nauheim, sondern auch an anderen Orten in der Wetterau finden sich salzhaltige Quellen. Zum Beispiel in den Auen der Nidder, dreieinhalb Kilometer Luftlinie entfernt vom ehemaligen keltischen Fürstensitz auf dem Glauberg. Ob die Glauberg-Kelten diese Sole für die Salzgewinnung nutzten? Ist das zumindest in der Theorie möglich? Lässt es sich gar wissenschaftlich nachweisen? Dr. Axel Posluschny, Leiter des Forschungszentrums auf dem Glauberg, und Thomas Lessig-Weller, Museumspädagoge der Keltenwelt am Glauberg, sind in einem gemeinsamen Projekt mit der Frankfurter Universität diesen Rätseln zumindest auf die Spur gekommen.

Herr Dr. Posluschny, warum hatte Salz über Jahrhunderte, oder besser Jahrtausende hinweg, eine so große Bedeutung?

Posluschny: Der Mensch braucht es. Je mehr pflanzliche Nahrung man zu sich nimmt, desto mehr Salz muss zugeführt werden. Das heißt, ab dem Sesshaftwerden des Menschen wird Salz wichtig. Das war in unserer Region um etwa 5500 vor Christus. In der keltischen Periode wurde von der Führungsschicht viel Fleisch gegessen. Das konnten wir auch für den „Fürsten“ aus einem der drei reichen Gräber vom Glauberg nachweisen. Der Großteil der Bevölkerung ernährte sich dagegen pflanzlich. Wer Salz herstellte, damit handelte oder die Handelswege kontrollierte, besaß Macht. Salz ist ein großer wirtschaftlicher Komplex.

Lessig-Weller: Wer über Salz verfügte, konnte Nahrung konservieren. Das darf man nicht unterschätzen. Zucker als weiteres, noch heute übliches Konservierungsmittel, gab es noch nicht. Salz sicherte das Überleben. Wie wichtig es war, sieht man auch daran, dass die römischen Legionäre mit Salz bezahlt wurden. Das war ihr Salär. In diesem Wort steckt übrigens ebenfalls das Wort Salz.

Bei den Experimenten sind alle Tongefäße geplatzt.

Der Fund des Keltenfürsten hat gezeigt, dass auf dem Glauberg vor zweieinhalbtausend Jahren Kelten leben und arbeiteten. Schon damals haben die Kelten in großem Stil in Bad Nauheim Salz gesiedet. Kann es sein, dass sie die gerade einmal dreieinhalb Kilometer entfernten Salzwiesen bei Selters für die Salzgewinnung nutzen?

Thomas Lessig-Weller: Wir wissen, dass es in der Wetterau eine vorgeschichtliche Besiedlung in verschiedenen Epochen gab. Die räumliche Nähe zwischen Glauberg und Selters macht die Nutzung, von der Sie sprechen, zumindest möglich. Es kann durchaus sein, dass es zwar keine großen Salzsiede-Öfen und Salzgewinnung im vorindustriellen Maßstab gab wie in Bad Nauheim, aber dass Salz für den Hausgebrauch gesiedet wurde. Die Kelten waren ja nicht dumm. Sie haben gesehen, dass an bestimmten Stellen in der Landschaft, zum Beispiel dort wo salzige Quellen aus dem Boden treten, die Vegetation anders ist. Dann muss man nur den Finger ins Wasser halten und in den Mund stecken, schon bemerkt man: schmeckt salzig. Und sie haben gesehen, dass Tiere dort bevorzugt tranken.

Dr. Axel Posluschny: Ich halte es auch für durchaus möglich. Für die Kelten auf dem Glauberg wäre Selters mit seinem salzhaltigen Wasser tatsächlich der naheliegendste Ort, um Salz zu gewinnen. Ob man das allerdings nachweisen kann, ist fraglich.

Wie lässt sich so etwas nach all der Zeit nachweisen?

Posluschny: Das ist in diesem Fall schwierig. Zum einen befindet sich eine archäologische Fundstelle im Erdboden und ist noch nicht entdeckt. Nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden weist möglicherweise über der Erde nichts mehr auf deren Existenz hin. Deshalb ist trotzdem grundsätzlich noch alles möglich. Aber wo fangen Sie auf einem Gelände von mehreren Hektar an zu graben? Noch dazu in einem Naturschutzgebiet, wie im Fall der Selterser Salzwiesen. Zudem ist zu bedenken, dass Ausgrabungen teuer sind und Archäologie keine Schatzsucherei ist.

Wenn Ausgrabungen aufgrund der Fläche und der Unwägbarkeiten nicht in Frage kommen: Gibt es andere Möglichkeiten herauszufinden, ob die Kelten eine, oder besser: diese Quelle zur Salzgewinnung genutzt haben?

Posluschny: Man könnte zum Beispiel geophysikalische Vermessungsmethoden anwenden. Es gibt einige Möglichkeiten, mit denen man tieferen Einblick in den Boden erhält. Aber sie sind sehr aufwändig. Das Forschungszentrum müsste das Projekt außer Haus geben, weil wir in der Keltenwelt nicht über das entsprechende Equipment verfügen. Rein spekulativ könnte man sagen: Gewännen wir einen Projektpartner, der daran interessiert ist, die Frage zu erforschen und der über entsprechende Mittel und das entsprechende Equipment verfügt, ließe es sich machen. Es wäre aber nach wie vor offen, ob es mit Aussicht auf Erfolg geschähe. Die Trefferwahrscheinlichkeit ist gering, das Ganze ein Schuss ins Blaue.

Dr. Axel Posluschny (re) und Thomas Lessig-Weller zeigen die Ausbeute des Salz-Siede-Experiments.

Dass eine so spannende archäologische Frage an der Realität scheitert, ist schon ein bisschen enttäuschend.

Lessig-Weller: Sie dürfen nicht außer Acht lassen, dass sich Landschaft über die Jahrtausende verändert, vor allem, wenn es sich um eine Aue handelt. Es ist davon auszugehen, dass mögliche Funde mit Erdmassen überdeckt sind, die im Laufe der Jahrtausende angeschwemmt wurden, oder dass sich der Flusslauf immer wieder geändert hat.

In Bad Nauheim hat man doch auch keltische Salinen gefunden…

Posluschny: In Bad Nauheim war die Stiuation eine gänzlich andere. Dort hat man vor etwa 150 Jahren bei Bauarbeiten in der Stadt Objekte und eindeutige Hinweise auf Salzsiedetätigkeit gefunden. In den Baugruben fanden sich Ascheschichten, Feuerstellen und keltische Objekte aus Keramik und Metall, die der Salzgewinnung dienten. Die nachfolgenden Ausgrabungen waren damit eben kein Schuss ins Blaue. Bei umfangreichen Grabungen von 1992 bis 2003 legten die Kollegen schließlich die größte keltische Saline Europas frei. Sie umfasste eine Fläche von etwa 600.000 Quadratmetern. Ein wahrer Sensationsfund.

… der Besuchern in den Sommermonaten im Keltenpavillon anschaulich nahegebracht wird. Doch zurück von Bad Nauheim auf den Glauberg. Sie haben sich des Themas „Kelten und Salzgewinnung“ im Sommer auf besondere Weise angenommen.

Posluschny: Wir haben mit Studierenden der Frankfurter Goethe-Universität bei umfangreichen Experimenten Salz gesiedet. Im Rahmen einer Lehrveranstaltung, die Herr Lessig-Weller, Frau Dr. Stobbe, die das Labor für Archäobotanik am Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt leitet, und ich mit Studierenden durchgeführt haben.

Lessig-Weller: In von uns nach keltischem Vorbild gebauten Salzsiedeöfen und ebenfalls von uns nach keltischem Vorbild getöpferten Gefäßen. Dabei haben wir nachgewiesen, dass sich mit der Sole aus der Nähe des Glaubergs Salz sieden lässt.

So sieht es aus, das gewonnene Salz.

Bevor wir in die Details einsteigen: Mit wieviel Litern Wasser haben Sie wieviel Kilo Salz hergestellt?

Lessig-Weller: Wir haben etwa 15 Liter Wasser gebraucht und damit 140 Gramm Salz produziert. Probieren Sie mal.

Das schmeckt sehr gut.

Posluschny: Ja, wir haben sehr gutes Salz gewonnen, das man gut verwenden kann. Wir hatten Befürchtungen, dass es viele Bittersalze enthält und viel Eisen, aber das hat sich nicht bestätigt.

Was genau haben Sie mit dem Wasser gemacht?

Posluschny: Kurz gesagt, haben wir einen Topf genommen, Wasser reingemacht und das Ganze gekocht. Herausgekommen sind Salz, ein bisschen Gips und wenige andere Beischlagsstoffe.

Das klingt, als könne jedes Kind, Salz gewinnen. Aber bei diesem Projekt „Eisenzeitliche Salzgewinnung im Experiment“ ging es um mehr, oder?

Posluschny: Das kann man als Projekt in der Tat in jeder Kita machen. Aber uns ging es darum, mit möglichst authentischer Ausrüstung Salz zu gewinnen. Wir haben also hier auf dem Gelände, im Museumsgarten, keltische Siedeöfen nachgebaut, wie sie in der Bad Nauheimer Saline ausgesehen haben könnten.

Lessig-Weller: Wir haben zwei Typen von Öfen gebaut: einen offenen und einen geschlossenen. Wir haben Gefäße aus einem Ton-Lehm-Gemisch hergestellt. Es ging darum, die Methodik der Experimentalarchäologie vorzustellen, und klarzumachen, wie es funktioniert, wenn man die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung im praktischen Geländeeinsatz umsetzt.

Kleine Tongefäße wurden wahrscheinlich auf Tonstelen wie diese gestellt. Das Feuer wurde darunter betrieben.

Was bringt Siedeöfen-Bauen der archäologischen Forschung?

Lessig-Weller: Was die handwerklichen Fähigkeiten und Kenntnisse von bestimmten Zusammenhängen angeht, ist der Mensch des 20. Jahrhunderts beschränkt. Töpfern, schmieden, Feuer machen, Salz gewinnen: Das kann der moderne Mensch üblicherweise nicht mehr. Das Salzsiede-Projekt war sehr komplex. Sole im Umfeld des Glaubergs finden, Salzgehalt messen, Ofen bauen, Keramik herstellen, Ofen betreiben. Es war eine große Herausforderung, die Gefäße in den Öfen so zu erhitzen, dass sie nicht platzen. Es ist uns auch ehrlich gesagt nicht gelungen. Wir haben schließlich die Methode verändert und auf moderne Gefäße zurückgegriffen.

Posluschny: Inzwischen sind wir dabei, die Ergebnisse zu analysieren und wir haben einen Wust an Fragen. „Warum hat manches nicht geklappt?“ und „Was müssen wir verändern?“ sind nur zwei davon. In jedem Fall haben die Studierenden die Erfahrung gemacht, dass die Kelten über große Fähigkeiten verfügten. Es ging uns aber auch darum, Sensibilität für unser Kulturerbe herzustellen. Das, was die Kelten damals gemacht haben, war großartig. Diese Wertschätzung erfährt man, wenn man etwas selbst macht, wie unsere Vorfahren es selbst gemacht haben. Wenn man darüber in einem wissenschaftlichen Werk liest, begreift man nicht, wie groß das Können der Kelten war.

 

Zur Person:

Dr. Axel Posluschny ist in Waldbröl im Rheinland zur Welt gekommen. In Bonn und Marburg studierte er Vor- und Frühgeschichte und war anschließend in verschiedenen Forschungsprojekten und Universitäten wissenschaftlich forschend und lehrend tätig. Am 1. Mai 2016 hat er die Leitung des Forschungszentrums der Keltenwelt auf dem Glauberg übernommen.

Thomas Lessig-Weller ist gebürtiger Passauer, hat in Erlangen Ur- und Frühgeschichte studiert und arbeitet seit 2010 in der Keltenwelt auf dem Glauberg als Museumspädagoge. Seinen Schwerpunkt sieht er darin, Methoden zu entwickeln, um die Inhalte der Keltenwelt ganz unterschiedlichen Zielgruppen zu vermitteln.

 

Ausflugstipps

Keltenpavillon in Bad Nauheim

Der Keltenpavillon ist von April bis Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Er befindet sich in der Zanderstraße 3 in Bad Nauheim. Darin wird die Arbeits- und Lebenswelt der Kelten wird mit Hilfe von Text- und Bildtafeln, Filmen und Repliken keltischer Geräte anschaulich erläutert. Auch die Replik eines keltischen Salzsiedeofens wird präsentiert. Mittwochs, samstags und sonntags von 15 bis 18 Uhr können die Besucher unter fachlicher Anleitung auf keltische Weise selbst Salz sieden. Der Eintritt kostet 3,30 Euro, für Inhaber einer Kurgastkarte oder einer Jahreskurkarte ist der Zutritt kostenfrei. Sonderöffnungszeiten gibt es – nach Vereinbarung – für Gruppen und für Führungen. Zu buchen unter: Bad Nauheimer Stadtmarketing und Tourismus, In den Kolonnaden 1, Bad Nauheim, Tel. 06032-929922, E-Mail: info@bad-nauheim.de

www.bad-nauheim.de/kultur-freizeit/museen/keltenpavillon

Keltenwelt auf dem Glauberg

Die Keltenwelt auf dem Glauberg umfasst neben dem Museum auch das Forschungszentrum und den Archäologischen Park mit Wehranlagen aus frühkeltischer Zeit und der Prozessionsstraße aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Vergleichbare Institutionen mit Museum, archäologischen Park und Forschungszentrum im ehemaligen keltischen Besiedlungsbereich gibt es in Europa nur wenige. Das Forschungszentrum der Keltenwelt am Glauberg fungiert als Schnittstelle zwischen dem Museum, der archäologischen Bodendenkmalpflege in Hessen und ist nationalen sowie internationalen Forschungsinstitutionen vernetzt. Die Einrichtung widmet sich der Erforschung der Kelten in Hessen und darüber hinaus und steht dem Museum beratend zur Seite, gibt Impulse für Sonderausstellungen und die Weiterentwicklung der Dauerausstellung. Museum, Museumsshop sowie Museumsbistro sind barrierefrei und haben dienstags bis sonntags von 10 bis 18Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet für Erwachsene sieben Euro, für Kinder fünf Euro. Weitere Ermäßigungen sind der Homepage zu entnehmen.

www.keltenwelt-glauberg.de