Der Mann mit den Mickeymaus-Ohren

Der Keltenfürst mit seiner Mistelkrone (Foto: Keltenwelt am Glauberg)

Glauberg. Sie ist weltberühmt, die Sandsteinstatue des Keltenfürsten vom Glauberg. Fast 2500 Jahre lag sie unentdeckt im fruchtbaren Wetterauer Ackerboden. Doch bei Ausgrabungen im Sommer des Jahres 1996 kam die Stele mit dem Mann mit den Mickymaus-Ohren zum Vorschein und sorgte weltweit für Schlagzeilen. Zu verdanken ist die Entdeckung der Stele aus der Eisenzeit unter anderem der Initiative dreier Heimatforscher, einigen Zufällen und unerwarteten Wendungen –  ein spannendes Drama in mehreren Akten.

Etwas Rundliches

Im Sommer 1987 stieg Dr. Alois Chlopczik, damals Schriftführer im Glauberger Heimat- und Geschichtsverein, in ein einmotoriges Flugzeug, um die Umgebung des Glaubergs in der östlichen Wetterau zu erkunden und Fotos zu schießen. In einer Sitzung des Vereinsvorstandes berichtete Chlopzcik anschließend: „Ich habe am Glauberg von oben etwas Rundliches gesehen.“ Auch wenn seine Fotos nicht gelungen waren und damit der Nachweis fehlt: Was der Doktor der Chemie damals aus der Vogelperspektive sah, muss der Kreisgraben um den frühkeltischen Fürstengrabhügel gewesen sein, der später freigelegt wurde.

Im Jahr darauf – im Juni 1988, um genau zu sein – setzte sich Werner Erk, ebenfalls Vereinsmitglied, in die Schleppmaschine des Gederner Segelflugvereins, um erneut Luftaufnahmen zu machen. Im Verein vermutete man nämlich ein Wall-Graben-System zwischen dem Glauberg und dem bewaldeten Nachbarhügel „Enzheimer Köpfchen“.

Luftarchäologie am Glauberg (Foto: Werner Erk)

Das Urfoto

Im Juni vor fast dreißig Jahren stand auf den Feldern unterhalb des Glaubergs grün das Korn. Ein glücklicher Zufall, denn Getreide reagiert mit großer Empfindlichkeit auf die Zusammensetzung des Mutterbodens und wächst unterschiedlich – je nach Bodenbeschaffenheit. Werner Erk schoss aus dem Flugzeug heraus das „Urfoto“, auf dem sich ein dunkler Halbkreis in einem Getreidefeld abzeichnet. Das Foto ließ auf einen Kreisgraben mit einem Durchmesser von etwa 70 Metern schließen. Das Bild wurde an das Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden weitergegeben. Dessen Mitarbeiter waren seit einigen Jahren mit Ausgrabungen auf dem Glauberg-Plateau beschäftigt, auf dem bereits seit dem 5. Jahrtausend vor Christus gesiedelt worden war und auf dem Bewohner mannigfache Spuren hinterlassen haben. Doch der damalige Landesarchäologe Fritz-Rudolf Hermann konnte sich nicht zu einer Grabung entschließen. Der Grund: Nördlich der Mainlinie waren bis dahin eisenzeitliche Strukturen wie diese nicht bekannt und somit keine besonderen Entdeckungen zu erwarten.

Erst als im Sommer 1991 weitere Luftaufnahmen entstanden und dem bekannten Luftbildarchäologen Otto Braasch zwei Jahre darauf ein Fotos der Struktur gelang, die auch Werner Erk schon auf Film gebannt hatte, entschloss sich der Landesarchäologe zu einer Sondierungsgrabung. „Im Landesamt hat man sich nicht viel davon versprochen“, erinnert sich Werner Erk.

Blick auf den Grabhügel (Foto: Kaltenschnee)

Die Sensation

Ein Auszubildender der Grabungstechnik, Andreas Striffler, sollte die Grabung planen, durchführen und dokumentieren. Es sollte seine Abschlussarbeit werden. „Herrn Strifflers Auftrag war, ein Viertel des Kreisgrabens zu untersuchen. Hätte er sich damals ein anderes Viertel für die Ausgrabung ausgesucht, hätte er nichts gefunden. Nichts!“, betont Werner Erk. Heißt: Kein Keltenfürst, keine Sensation, kein Keltenmuseum. Doch Andreas Striffler fand ein unberaubtes Grab mit einer hölzernen Grabkammer, in der ein Keltenkrieger mit genau jenen Beigaben bestattet worden war, die auch die Steinstatue des Keltenfürsten zieren. Mit diesem Fund im „Grab I“ war mit einem Mal klar: Am Glauberg ist mehr zu erwarten. „Für Lehrling Striffler war damit die Sache beendet, jetzt waren die Profis dran“, sagt Werner Erk. Das Grab wurde als Block geborgen und nach Wiesbaden ins Labor gebracht. Die Steinfigur des Keltenfürsten lag freilich nicht in diesem Grab, beeilt sich Werner Erk zu sagen. Bis diese gefunden werden würde, sollten weitere zwei Jahre ins Land gehen.

„Bei allen Ausgrabungen leistet unser Verein seit Jahrzehnten Hand- und Spanndienste“, sagt Erk: „Mäharbeiten, Bereitstellen von Bauwagen und Unterkünften oder Mitarbeit bei den Grabungen selbst.“ Ein junges Vereinsmitglied, Achim Förstner, hilft also 1996 bei der Grabung mit. Auch am Vormittag des 24. Juni. Für ihn ist es ein Ferienjob, der Monotonie nicht entbehrt: Spaten einstechen, Erde aufnehmen, Erde mit der Schubkarre abfahren. Spaten einstechen. Schicht um Schicht.

Doch dann, nach wochenlanger Schaufelei macht es auf einmal „Plong“ und der damals 18-Jährige trifft auf den Keltenfürsten. Im Wortsinn. Mit seiner Schaufel. Vorsichtig wird die Statue freigelegt. Später wird sich herausstellen: Sie stammt aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Ein Fund, einmalig diesseits der Alpen. Eine Sensation.

Die Keltenwelt auf dem Glauberg (Foto: Kaltenschnee)

Lehrer Werner Erk ist zu diesem Zeitpunkt an seinem Arbeitsplatz in der Berufsschule in Nidda. Als der Gong zum Schulschluss ertönt, eilt er zum Glauberg. Die 1,86 Meter große und 230 Kilo schwere Sandsteinstatue, der auch heute noch die Füße fehlen, ist bereits in einen Bus verladen. Sie soll nach Wiesbaden ins Labor des Amtes für Denkmalpflege überführt zu werden. „Ich habe ihn noch im Transporter liegen sehen“, berichtet Werner Erk. „Sehr bedauerlich, dass ich bei der Entdeckung selbst nicht dabei war. Hätte ich es geahnt, hätte ich mir einen Tag frei genommen. Aber es ist dennoch etwas ganz Besonderes, diesen weltweit einmaligen Fund aus nächster Nähe miterlebt zu haben.“

Ein Museum für die Statue

In den Folgejahren wurde zäh darum gerungen, ob der Keltenkrieger im Landesmuseum in Darmstadt, in Bad Nauheim oder am Originalfundort am Glauberg gezeigt werden solle. Nach langem politischen Hin und Her, Mahnwachen und einer Unterschriftensammlung fand die Statue ihren Platz im eigens errichteten Museum. Dort steht sie auf einem Podest im Zentrum der didaktisch hervorragend aufbereiteten Ausstellung und blickt grimmig auf die Besucher hinunter.

Gut ausgeschilderte Wege am Glauberg (Foto: Kaltenschnee)

+++

Mehr wissen

„Plötzlich blieb mein Spaten stecken“

Achim Förstner war derjenige, der am Vormittag des 24. Juni auf die Statue des Keltenfürsten stieß. An den Tag, an dem der Keltenfürst gefunden wurde, kann er sich noch gut erinnern. Es war am Vormittag des 24. Juni 1991: „Ich stand mit meinen Grabungskollegen in einer Reihe im Kreisgraben. Wir haben Löss mit Spaten abgestochen. Das hatten wir bis zu diesem Tag schon wochenlang gemacht und nie etwas gefunden. Oben auf dem Plateau des Glaubergs ist das anders. Da findet man immer etwas. Aber dort unten haben wir ja den zugewehten Kreisgraben freigelegt. Wir sind mit dem Spaten nie auf einen Wiederstand gestoßen…“ Doch an diesem Morgen war das anders. Sein Spaten blieb auf einmal stecken. Ganz plötzlich. Abrupt. Nichts gab mehr nach. „Wir haben Sandstein gesehen und ich dachte gleich: Sandstein, das ist ortsfremdes Material, das muss jemand hierhergebracht haben“, erzählt Achim Förstner. Man habe handflächengroß Sandstein gesehen. Gerhard Reichelt war damals beim Landesamt für Denkmalpflege angestellt und Grabungsleiter oben am Glauberg. „Er hat gesagt: ‚Stopp! Sofort aufhören!‘ Anschließend hat er mit der Kelle und kleinem Werkzeug vorsichtig den Sandstein freigelegt“, erinnert sich Achim Förstner. Das Grabungsteam habe nicht geahnt, was da zum Vorschein kommen würde. „Das war ein Tag! Ganz besonders. Aufregend. Minute für Minute war mehr zu sehen: Ein Bein, noch ein Bein, der Körper, der Kopf. Das war toll“, kann sich der ehemalige Grabungshelfer noch heute begeistern. Was da vor den Männern gelegen habe, sei etwas Anderes als die Scherben auf dem Glauberg. Als die Sensation publik wurde, seien zahlreiche Journalisten und Fernsehteams ins Dorf gekommen: „Das war für uns alle auch etwas Besonderes.“ An den Keltenfürsten denkt Achim Förstner immer noch jeden Tag: „Ich fahre morgens die Autobahn in Richtung Hanau zur Arbeit. Abends fahre ich diese Strecke wieder zurück. Ich sehe jeden Tag die Autobahnschilder, die auf die Keltenwelt und den Keltenfürsten hinweisen. Ich schaue ihn an und grinse in mich hinein.“

Ausflugstipp
Die Keltenwelt am Glauberg

An den Hängen des Glaubergs thront imposant das Keltenmuseum. Gleich einem freigelegten archäologischen Fundstück ragt das Bauwerk in die Landschaft und passt sich zugleich harmonisch ein. Sein Kern besteht aus Stahlbeton, seine Fassade aus Cortenstahl. Nach Südwesten öffnet sich das Gebäude in Edelrostoptik: Ein bodentiefes Panoramafenster ist genau auf den rekonstruierten keltischen Grabhügel ausgerichtet. Architekten feiern das 2011 eröffnete Museum als Meisterwerk der Baukunst.

Mittelpunkt der Ausstellung ist die Statue des Keltenfürsten vom Glauberg. Darüber hinaus birgt das Museum Funde, die bei Ausgrabungen in direkter Nachbarschaft entdeckt wurden. Hinter dem Museum liegt das fast ebene, acht Hektar große Glauberg-Plateau, auf dem vor 7000 Jahren die ersten Ackerbauern und Viehzüchter siedelten und das später Kelten, Alamanen, Franken und Staufern eine Heimstatt bot. Dort finden sich gut erhaltene Überreste einer Reichsburg aus dem Mittelalter. Vor dem Museum erhebt sich der Grabhügel – ein mächtiger, grasbewachsener Erdhügel, von tiefen Gräben umgeben. In den Himmel ragen rekonstruierte Holzpfähle.

Das Museum ist Teil der Keltenwelt am Glauberg, zu der auch das Forschungszentrum und der Archäologische Park gehört. Zum Park gehören auch die Wehranlagen aus frühkeltischer Zeit und die Prozessionsstraße aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Im Museum selbst werden regelmäßig Sonderausstellungen ausgerichtet.  Es werden Workshops, Themenführungen und kulturelle Veranstaltungen angeboten. Die Wanderwege rund um das Plateau sind gut ausgeschildert. Museum, Museumsshop sowie Museumsbistro sind barrierefrei und haben dienstags bis sonntags von 10 bis 18Uhr geöffnet.

Umfangreiche Informationen unter www.keltenwelt-glauberg.de

Wunderbare Funde: Das Museum ist einen Besuch wert. (Foto: Keltenwelt am Glauberg)

 

Hintergrund

Steinfiguren und Fürstengräber

Außer der Steinfigur des Keltenfürsten wurden drei weitere Statuen gefunden. Es ist davon auszugehen, dass sie in der Nähe der jeweiligen Fundstelle aufgestellt waren – möglicherweise in einem Heiligen Bezirk, der einem Ahnenkult gedient haben dürfte. Die zweite Statue lag zerschlagen unter der bis auf die Füße erhaltenen Figur des Keltenfürsten, die heute im Keltenmuseum ausgestellt ist. Von der dritten Statue (entdeckt 1999) ist nur ein weißer Sandsteinkopf geblieben. Sie befindet sich im Besitz des Heimat- und Geschichtsvereins Glauberg, und ist als ständige Leihgabe ebenfalls im Museum ausgestellt.

Zudem wurden drei Fürstengräber mit reichen Grabbeigaben entdeckt: Grab I: 1994, Grab II: 1995 sowie ein drittes Grab in einem Grabhügel etwa 250 Meter südlich des Großen Grabhügels (1999). Die kostbaren Funde sind ebenfalls im Museum ausgestellt.

Grabbeigaben des Keltenfürsten (Foto: Keltenwelt am Glauberg)

Geschichte des Grabhügels

Hinweise auf einen Grabhügel gab es lange vor der Sichtung durch Alois Chlopczik (1987) und vor dem „Urfoto“ von Werner Erk (1988). Im 16. Jahrhundert ist der Hügel als „Mehlberg“ bekannt gewesen. Das hat nichts mit ‚Mehl‘ oder ‚Mühle‘ zu tun. So wurde ein hervorstechendes Geländemerkmal bezeichnet. „Also muss der Hügel deutlich sichtbar gewesen sein“, folgert Heimatforscher Werner Erk. Von 1736 an ließ Louise Gräfin zu Stolberg-Gedern am Glauberg einen Weinberg anlegen. Da der Boden nicht geeignet schien, gab sie Anweisung, diesen mit Erde und Dung aufzuwerten. Im Zuge der nachfolgenden Arbeiten wurde ein Teil des Grabhügels abgetragen und in die Wingerte gebracht. 1770, zwei Jahre nach dem Tod der Gräfin, wurde der Weinanbau am Glauberg aufgegeben. Stattdessen wurden Bäume gepflanzt. Nach Auskunft des Hobbyarchäologen lässt sich all das in Akten dieser Zeit nachlesen. Bei den Erdarbeiten wurde ein eisenzeitlicher Wendelhalsring geborgen, der nach Wernigerode ins Stammhaus der Stolbergs gebracht wurde und später abhandenkam. „Dieser Fund ist ein Indiz dafür, dass im Hügel Nachbestattungen stattgefunden haben müssen“, erläutert Werner Erk. Zu Beginn des 20. Jahrhundert fertigte der erste Glauberger Heimatforscher, Schlossermeister Johannes May, eine Handskizze des Glaubergs an. Auf dieser ist der Hügel noch enthalten. Sogar mit der Bezeichnung „Grabhügel“. Selbst auf Luftbildern der US-Streitkräfte aus dem Jahr 1945 ist die Erhebung noch auszumachen. Mit der zweiten Flurbereinigung 1973 verschwand der Grabhügel: Er wurde dem Boden gleich gemacht.

Dieser Artikel ist im Mai 2018 in der Offenbach Post erschienen.