Abnehmendes und zunehmendes Tageslicht im Jahreslauf spielt seit jeher im Leben der Menschen eine wichtige Rolle. Schon in vorchristlicher Zeit wurde um den 21. Dezember die Wintersonnenwende gefeiert, weil von diesem Datum an die Tage allmählich wieder länger werden. Kurz darauf, am 24. Dezember feiern Christen die Geburt Jesu Christi, das Fest der Liebe und des Lichts. „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“, heißt es im Neuen Testament (Johannes 8,12). In den Kirchen finden Krippenspiele und Christmetten statt. Im heimischen Wohnzimmer werden Kerzen an einem geschmückten Weihnachtsbaum entzündet, es gibt Plätzchen und Stollen. Die Kinder bekommen Geschenke.
In Büdingen bietet das Theater ohne doppelten Boden – kurz: TheodoBo – im Dezember die Stadtführung „Tannenzweig und Lichterglanz“ an. Sylvia Oster, Gerd Ungermann und Markus Karger befassen sich darin mit der Adventszeit und mit Weihnachten. Sie erklären Herkunft und Hintergrund vieler Bräuche und Traditionen, die mit dieser Zeit verbunden sind. Wir haben zu Beginn der Adventszeit mit den Schauspielern gesprochen.
„Als wir unsere Führung konzipierten, haben wir ein paar regionale Bräuche entdeckt. Zum Beispiel das Lauterbacher Christkindwiegen“, sagt Markus Karger und erklärt, was es mit diesem Brauch auf sich hat. Der Überlieferung zufolge ruht sich das Christkind nach der Bescherung der Kinder an Heiligabend in der obersten Stube des Lauterbacher Kirchturms aus. Pfarrer, Konfirmanden und Turmbläser steigen nach dem Abendgottesdienst auf den Turm hinauf. Dort oben verkündet der Geistliche die Weihnachtsbotschaft bei Laternenschein. Musik und ein festlicher Choral erklingen aus den vier Ecken des Kirchturms. „Damit das Christkind gut einschläft, heißt es in Lauterbach“, sagt Markus Karger.
Auf der Suche nach weiteren Bräuchen haben die Schauspieler über den Tellerrand geblickt und sich Weihnachtstraditionen im Allgemeinen zugewandt. Viele davon seien gar nicht so alt, wie man vermuten würde, sondern stammten aus dem 19. Jahrhundert, sagt Karger: „Ich würde sogar behaupten, der Weihnachtshype, wie wir ihn kennen, hat dort seinen Ursprung.“ Er nennt Beispiele: Der Adventskranz geht auf Johann Hinrich Wichern zurück, den Begründer der Evangelischen Diakonie. In dem von ihm gegründeten Rauhen Haus, einer Einrichtung für notleidende Kinder in Hamburg, ließ er 1839 ein hölzernes Wagenrad mit 20 kleinen weißen und vier großen roten Kerzen aufhängen. An jedem Tag in der Adventszeit wurde eine weiße Kerze entzündet, an den Adventssonntagen eine rote. So wussten die Kinder stets, wie viele Tage es noch bis Heiligabend dauerte. Aus diesem Wagenrad hat sich später der Adventskranz aus Tannenzweigen entwickelt. Der Weihnachtsbaum als geschmückter Tannenbaum kommt im protestantischen Bürgertum des 18. Jahrhunderts in Mode und ist seit dem 19. Jahrhundert in den deutschen Wohnzimmern zu finden. Die ersten Überlieferungen datieren aber bereits in das 16. Jahrhundert. „Schon zu dieser Zeit haben Innungen und Zünfte am Vortag von Weihnachten Tannenbäume vor den Zunfthäusern aufgestellt und diese mit Pfefferkuchen, Nüssen und Früchten behängt. Am Weihnachtstag wurden die Bäume für die Armen und für die Kinder geschüttelt“, erklärt Sylvia Oster.
Die Adventszeit sei früher einmal eine Zeit der inneren Einkehr und des Wartens auf die Geburt Jesu Christi gewesen, ergänzt Markus Karger. Die hektische Vorweihnachtszeit mit all ihrem Trubel stehe zu diesem besinnlichen Konzept in einem ebenso großen Gegensatz wie die hohen Geldbeträge, die heutzutage für Weihnachtsgeschenke ausgegeben würden.
Doch wer bringt überhaupt all die Geschenke: das Christkind oder der Weihnachtsmann? Dieser Frage geht Gerd Ungermann gemeinsam mit Sylvia Oster in der TheodoBo-Führung auf den Grund. Das Christkind, erzählt Oster, sei eine Erfindung Martin Luthers: „Ursprünglich gab es nicht an Weihnachten Geschenke, sondern am 6. Dezember, am Nikolaustag.“ Luther habe aber keine spendablen Heiligen dulden wollen. „Der Reformator sagte, dass Christus sich mit seiner Geburt eigentlich uns Menschen schenkt. Folglich sollte natürlich das Christuskind an Weihnachten die Geschenke bringen.“ Das Christkind wird traditionell mit blonden Locken und weißem Kleid dargestellt. Ob es freilich ein Bub oder ein Mädchen ist, bleibt unklar.
Dass Traditionen sich veränderten, lasse sich auch heutzutage gut beobachten, fährt Markus Karger fort. So haben die Figur des Santa Claus und dessen „Hohoho“-Rufe schon lange die Populärkultur erobert. Rot-weiß geringelte Candy-Sticks, fliegende Rentiere und Elfen, die Santa Claus bei der Arbeit helfen, kennt inzwischen jedes Kind. Es habe sich ein Mischmasch aus althergebrachten Traditionen und neuen Einflüssen entwickelt, bedauert Markus Karger und spricht von einem Amerika-Effekt, der sich auch am Beispiel „Halloween“ immer stärker zeige. Ein Fest, das in Deutschland bis in die 1990er Jahre hinein überhaupt nicht gefeiert wurde. Inzwischen werden rund um den 31. Oktober in vielen Vorgärten Kürbisse mit ausgeschnittener Fratze aufgestellt und Kinder ziehen am Vorabend von Allerheiligen, mit dem Ruf „Süßes oder Saures!“ von Tür zu Tür.
„In Vergessenheit geraten ist auch, dass die Adventszeit einmal eine Fastenzeit war“, sagt Gerd Ungermann. Um den Andreastag am 30. November habe man Früchtebrot gebacken, weiß Sylvia Oster. Auch Weihnachtsplätzchen und Weihnachtsstollen seien zu Beginn der Adventszeit gebacken worden. Der Verzehr sei jedoch erst für die Weihnachtsfesttage vorgesehen gewesen. „Im Grunde ist das alles ja lange haltbares Gebäck“, ergänzt Markus Karger und erinnert daran, dass der weiß gepuderte Laib des Weihnachtsstollens an das gewickelte Christuskind erinnern sollte. Heutzutage seien die Supermarktregale freilich schon im September mit Printen und anderem Weihnachtsgebäck gefüllt. „Bis Weihnachten sind die Leute Lebkuchen doch schon lange satt“, befindet er. Auch Fleisch habe man früher erst an den Festtagen selbst gegessen. Der Karpfen, der in vielen Familien an Heiligabend auf den Tisch kam, galt als angemessenes, fleischloses Fastengericht.
Der Verlust oder das Vergessen von Traditionen sei ein generelles Problem, sagen die Schauspieler unisono. Auch deshalb möchten sie an die zahlreichen Bräuche der Weihnachtszeit erinnern. „Wir erzählen, wie es früher war und wie es nicht mehr ist“, sagt Markus Karger. Zugleich wollen die drei Kindheitserinnerungen ihrer Gäste wecken und sie so auf Weihnachten einstimmen.
Hier geht es zur Webseite der Theatergruppe: www.theodobo.de