verein OMa und opa-Tag? läuft bei denen!

Es klingelt an der Haustür. Martina Hosslein geht durch den Flur, öffnet die Tür und begrüßt ein schmales Mädchen mit dunklen Haaren. Amina, so heißt das Mädchen, umarmt Martina Hosslein stürmisch, wirft ihren rosa Rucksack neben die kleine Flurkommode und juchzt: „Wir haben gar heute keine Hausaufgaben.“ Dann gehen die beiden in die Küche und Amina inspiziert die Kochtöpfe: „Oh, Spaghetti Bolognese! Klasse! Mein Lieblingsessen!“, ruft sie.

Im Verein Oma-und-Opa-Tag e.V. finden sich Menschen aus Büdingen und den 16 Stadtteilen zusammen, die Grenzen überwinden wollen. Grenzen, die nicht auf der Landkarte verlaufen, sondern in der Gesellschaft. Sie möchten einen Beitrag dazu leisten, dass Kinder aus anderen Herkunftsländern als Deutschland die gleichen Chancen haben wie Kinder, deren Familien seit Generationen in Deutschland verwurzelt sind. Biodeutsche, also, um den fragwürdigen Begriff nicht den Maulern zu überlassen.

Nach einem Bericht des Nationalen Bildungspanels beginnt die Ungleichheit von Kindern bereits in im ersten Lebensjahr. Da sind viele Kinder bereits benachteiligt. Heißt: im Kindergarten oder in der Grundschule sind die Weichen längst gesetzt.

In Büdingen haben schon Jahre vor dieser aktuellen Erkenntnis Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten einen Verein gegründet. Sein Ziel:  junge und jüngste Menschen unter die Arme zu greifen, deren Entwicklung zu fördern, Ungleichheit abbauen.

Die Aktiven helfen bei den Hausaufgaben, unternehmen Ausflüge, laden zum Essen ein und schaffen Integration da, wo sie am gut aufgehoben ist: im Alltag. 

Martina Hosslein ist eines der aktiven 32 Vereinsmitglieder. Einmal in der Woche kommt die neunjährige Amani Arasi nach der Schule zu ihr. Die pensionierte Grundschullehrerin nimmt die Drittklässlerin an wie eine Enkeltochter. Sie erwartet die Schülerin mit einem Mittagessen und macht mit ihr die Hausaufgaben. Oft unternehmen sie Spaziergänge, gehen Eisessen oder machen Ausflüge: im Senckenbergmuseum, im Stadtmuseum Gelnhausen oder auf dem Barfußpfad in Bad Orb sind sie schon mehrmals gewesen. Amanis Eltern, Aische und Muhammad Arasi, die vor acht Jahren mit ihren Kindern aus Syrien nach Deutschland gekommen sind, waren am Anfang skeptisch. Vor allem die Mutter befürchtete, Amani werde zu stark in die deutsche Kultur hineingezogen, verliere den Kontakt zu ihrer Herkunftsgeschichte und ihrer Familie. Nur: Amanis Mutter Aischa und Vater Muhammad können ihre vier Kinder kaum bei der Integration, beim Spracherwerb unterstützen. „Aische spricht nur wenig Deutsch und Amanis Vater ist als Schichtarbeiter in der Produktion bei Exide Industrie beschäftigt. Da bleibt wenig Zeit, das Mädchen in seiner Entwicklung zu fördern“, berichtet Marina Hosslein. Der Verein habe die gesellschaftlichen Defizite in diesem Bereich erkannt und genau hier setze sein Konzept an: Förderung von Kindern, deutschen wie Kindern aus anderen Herkunftsländern. Eine Unterstützung, die weit über die der Lesepatinnen und Lesepaten hinausgeht. Wir wollen eben nicht über das Lesen in Kontakt treten. Wir suchen einen ganzheitlichen Ansatz, ein bisschen wie reale Patenonkel und Patentanten, Oma und Opa.“

Susanne Kraft, die den Verein ins Leben gerufen hat, kennt das Akzeptanz-Problem. Es geht, so sagt sie, über die Herkunft hinaus. Auch deutsche Eltern befürchten, ihre Kinder würden ihnen entfremdet. Auch weil sie ihnen nicht so viel Förderung bieten können, wie die Vereinsmitglieder. Amanis Eltern konnte Susanne Kraft in einem Erstgespräch davon überzeugen, dem Ganzen eine Chance zu geben. Das ist nun vier Jahre her. Schon seit dem letzten Kindergartenjahr ist Amina ein- bis zweimal in der Woche bei Martina Hosslein. „Wir nennen das den „Oma Martina-Tag“, berichtet Martina Hosslein. Sie sieht deutlich, dass dem Kind die Nachmittage guttun. Deren Schulnoten haben sich verbessert, ihre Sprachkompetenz und ihr Selbstbewusstsein ebenfalls. Das macht es dem Mädchen auch leichter, Freundinnen und Freunde in ihrer Klasse zu finden.

In ihrem Bekanntenkreis trifft Martina Hosslein auf positive, aber auch verächtliche Reaktionen: „Die einen sind von der Idee sehr angetan, sehen sie als eine gute, niedrigschwellige Form der Integration, der kindlichen Förderung und einen großen Gewinn für den Spracherwerb. Andere bemängeln, dass Menschen wie ich, mit Initiativen wie diesen nur unser Gutmenschentum präsentieren möchten. Das finde ich ganz schlimm. Es wird auch gesagt: Mit ehrenamtlichen Initiativen wie diesen ändern wir nicht die strukturellen Probleme, die durch Masseneinwanderung und fehlenden Integrationswillen entstanden sind. Die Überfremdung Deutschlands ist mit sowas nicht zu lösen.“ 

Martina Hosslein hält dagegen. Es sei wichtig, solche Angebote zu machen – nicht als Projekt, das nach ein paar Jahren Laufzeit ende und in der Versenkung verschwinde. „Es ist wichtig, ein Kind über Jahre zu begleiten und ihm die Chancen zu ermöglichen.“ Die Kinder, die der Verein betreue, erhielten sozusagen einen persönlichen, individuellen Einblick in die Gesellschaft, in die sie sich integrieren sollen und wollen. „Es ist eine Win-win-Situation, von der wir als Individuen, von der aber auch die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit profitieren kann: So geht Integration. Und die funktioniert immer nur von zwei Seiten.“ Dann erinnert sie an das Projekt „Deutschsommer“, das im Rhein-Main-Gebiet Erfolge feiert und von der Hessischen Landesregierung gefördert wird. Der Deutschsommer sei für die Büdinger Gruppe der Anlass gewesen, den Verein zu gründen und sich zu engagieren. In diesem Projekt erhalten Drittklässlerinnen und Drittklässler mit erhöhtem Sprachförderbedarf in den drei ersten Wochen der hessischen Sommerferien Unterstützung für ihre Sprach- und Persönlichkeitsentwicklung. Sie nehmen an intensiven, altersgerechten Sprachworkshops teil, entwickeln ein Theaterstück, essen gemeinsam und unternehmen Ausflüge. Sowohl Martina Hosslein als auch Sabine Kraft halten dieses Projekt für wegweisend.

Hintergrund

Der Verein Oma-und-Opa-Tag e.V. wurde im August 2016 gegründet. Mittlerweile hat er 42 aktive Mitglieder. Sie sind Paten für 25 Mädchen und Jungen im Alter von vier bis 13 Jahren. Ein- bis zweimal in der Woche sind die Kinder in den Familien der Paten zu Gast. 

Der Vereinsvorstand stimmt sich eng mit den städtischen Kindergärten und den Grundschulen ab. Die Mitglieder, die als Paten Kinder betreuen, werden im Vorfeld von der Schulleitung beziehungsweise der Kindergartenleitung überprüft. Sie müssen ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und ein Gespräch mit den Eltern des betreuten Kindes in Anwesenheit eines Mitarbeiters des zuständigen Jugendamtes führen. 

PS Die Geschichte ist ein Hoax oder vielmehr eine Vision, die sich nicht so, aber so ähnlich umsetzen ließe. Das Nationale Bildungspanel gibt es wirklich: https://www.lifbi.de. Den Deutschsommer auch: https://deutschsommer.de. Aus beidem ist die Idee für diesen Text entstanden. Und aus einem Gespräch mit meiner Freundin Susanne.

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